Eine Mama zu viel: Wie die DDR-Zwangsadoptionen Lebenswege trennten
In der DDR gab es mehrere Fälle von Zwangsadoptionen, wenn Eltern politisch aneckten. Viel ist über diese Praxis bis jetzt nicht bekannt. Nun widmet sich ein Roman dem Thema.

Erst im Gefängnis bemerkt Eva, dass sie schwanger ist. Mit ihrem Freund Martin ist sie 1984 bei Boltenhagen auf die Ostsee hinausgeschwommen, um aus der DDR zu fliehen. Doch Grenzer spüren sie auf und setzen sie fest. Republikflucht? Haft? Bei so einer Mutter soll das Baby nicht aufwachsen, befinden die Behörden. Als die Tochter auf der Welt ist, wird sie zur Adoption an „geeignetere Eltern“ vermittelt, im „sozialistischen Sinne“. Es trennen sich zwei Lebenswege, die eigentlich zusammengehören.
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Die Autorin Lisa Quentin erzählt diese Geschichte von Eva, ihrer Tochter Jule und deren Adoptivmutter Anke in ihrem gerade veröffentlichten Buch „Ein völlig anderes Leben“. Es ist ein Roman, Fiktion, diese Personen gibt es nicht wirklich. Und doch geht es um ein Stück Zeitgeschichte, das immer noch weitgehend im Dunkeln liegt, auch mehr als 30 Jahre nach der deutschen Vereinigung.
Zwangsadoptionen kamen in der DDR immer wieder vor
Dass es in der DDR solche „Zwangsadoptionen“ oder genauer gesagt eine politische Motivation in bestimmten Adoptionsverfahren gab – das ist seit langem bekannt. Das belegt auch eine Vorstudie des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam von 2018. Aber wirklich exakt dokumentiert sind nur wenige Fälle, auch weil Daten- und Persönlichkeitsschutz Einblicke stark beschränken.
Um wie viele Menschen es insgesamt geht, wie die politischen Fälle von anderen Adoptionen „zum Kindeswohl“ abzugrenzen sind und wer damit welche Interessen verfolgte, das soll nun erstmals umfassend untersucht werden. Das Bundesinnenministerium hat dafür eine Million Euro ausgelobt. Das Auswahlverfahren sei inzwischen abgeschlossen, teilt ein Ministeriumssprecher mit. „Das für die Förderung vorgesehene Forschungsinstitut bereitet nunmehr den Förderantrag vor.“ Wer mit der auf drei Jahren angelegten Studie betraut werden soll, ist aber noch nicht öffentlich. Im Sommer könnte es losgehen.
Zeitzeugin Katrin Behr hat selbst ein Buch geschrieben
Katrin Behr hat schon 2011 ein Buch über das Thema veröffentlicht, denn sie wurde selbst als Vierjährige zu DDR-Zeiten adoptiert. Auch ihre leibliche Mutter wurde verhaftet, auch sie wegen möglicher Fluchtabsichten. Und auch Behr suchte später als erwachsene Frau Antworten, wie es so weit kommen konnte. Seit Jahren berät sie in Berlin Menschen in ähnlicher Lage. Behr schätzt, dass es etwa 10.000 Betroffene geben könnte – nicht nur Kinder, Eltern und Adoptiveltern, sondern auch Großeltern, Geschwister, Tanten, Onkel.
Behr kennt Lisa Quentin und ihr Buch, und sie lobt es ausdrücklich. „Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen“, sagt Behr in einem gemeinsamen Interview mit der Autorin. Das Buch habe selbst ihr noch neue Blickwinkel eröffnet. „Heute redet man ja offen über Adoption. Aber es war ein absolutes Tabuthema, nicht nur in der Adoptionsfamilie, sondern auch in der Gesellschaft“, sagt Behr. „Das finde ich sehr, sehr gut rübergebracht.“
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Der Roman befasst sich weniger mit der Zeitgeschichte als mit den Gefühlen der Betroffenen. „Ich habe diesen fiktionalen Weg gewählt, denn ich bin weder Historikerin, noch bin ich selbst betroffen“, sagt Quentin. „Was mir wichtig war: Ich wollte nicht polarisieren, zwischen vermeintlich gut und vermeintlich böse.“ Als junge Mutter hätten sie die Schicksale hinter diesen Zwangsadoptionen berührt.
Im Buch führt Zwangsadoption auch Jahre später zu persönlichen Krisen
Im Buch entdeckt die Werbefrau Jule mit Anfang 30 zufällig, dass ihre gerade verstorbene Mutter Anke eben nicht ihre leibliche Mutter war, dass ihre Geschichte eine ganz andere ist. Das bringt die junge Frau so ins Schlingern, dass sie ihren Job hinwirft und sich auf die Suche begibt. „Ich wollte aus beiden Perspektiven erzählen“, sagt Quentin. „Was bedeutet das, wenn mir ein Kind weggenommen wird? Und was bedeutet es, wenn ich meine Wurzeln nicht kenne?“
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Dass es hier auch um ein heikles Stück DDR-Geschichte geht, stand für die 1985 in Coburg geborene Quentin nicht im Vordergrund. Sie versteht sich als „wiedervereinigte Frau“, wie sie sagt. „Es geht mir nicht um das große Ost-West-Thema. Ich habe mein Augenmerk auf die Figuren und die psychologischen sowie emotionalen Auswirkungen einer so weitreichenden Entscheidung wie einer Zwangsadoption gelegt.“