„Die Intensivstationen sind voll“: Hier nimmt ein Pfleger Jens Spahn in die Mangel
Der Berliner Intensivpfleger Ricardo Lange sparte nicht mit Kritik und sprach Klartext über die Corona-Situation in den Kliniken.

Man muss es Jens Spahn zugute halten: Er sucht den Dialog. Und er sprach nicht nur mit Jan Josef Liefers, der sich an einer vermeintlich satirischen Video-Aktion beteiligte, bei der zahlreiche Querdenker-Parolen reproduziert wurden, nein: Spahn setzte sich am Donnerstag auch zusammen mit einem Intensivpfleger in die Bundespressekonferenz. Und der nahm den Gesundheitsminister ordentlich in die Mangel!
Pfleger Ricardo Lange schildert die Corona-Situation auf den Intensivstationen
In einem Video, dass der Journalist Thilo Jung auf seinem Instagram-Kanal veröffentlichte, wird Ricardo Lange, Intensivpfleger aus Berlin, mit der Frage konfrontiert, was er den davon halte, dass die Bundesregierung die Kontrolle der Pandemie an der Auslastung der Intensivstationen ausrichte – und reagierte darauf mit großer Unzufriedenheit. „Äußerst kritisch“, sei diese Vorgehensweise, sagt er. Wenn eine Intensivstation ausgelastet sei, könnten Patienten nicht aufgenommen werden, schildert er den Alltag an der Front.

Bei Intensivpatienten gehe es ja auch nicht nur um Corona-Erkrankungen. Es gebe weiterhin „Schlaganfälle, Herzinfarkte, Unfälle, Suizidversuche“, zählt Lange auf. Alltäglich erlebe Lange, dass Patienten, die eigentlich einer intensivmedizinischen Behandlung bedürften, nicht aufgenommen werden können. Diese müssten dann in andere Abteilungen wie beispielsweise den Aufwachraum eines OPs verlegt werden. Auf diesen provisorischen Intensivstationen seien aber weder die Arbeitsbedingungen, noch das verfügbare Personal ideal für die Behandlung von Intensivpatienten. Doch Intensivpatienten brauchen eine ganz bestimmte Behandlung, so Lange, das könnten Ärzte und Pfleger, die sonst nicht mit Intensivpatienten arbeiten, gar nicht leisten. Dennoch würden sie ins „kalte Wasser“ geworfen, obwohl sie auf eine Notfallsituation „mental und fachlich“ nicht vorbereitet wären.
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Das Problem seien zudem nicht die Betten, sagte Lange. „Betten haben wir genug, man kann in jedes Bett einen Intensivpatienten legen, wenn man irgendwo ein Beatmungsgerät herholt, aber das Problem ist das Personal“, sagt er und betont wie sehr er sich mehr Mitarbeitende im Krankenhaus wünschen würde. Da gehe es übrigens nicht nur um Pflegekräfte, sondern auch um Ärzte. Oftmals sei ein Facharzt für 30 Patienten zuständig und wenn der an zwei Stellen gebraucht würde, seien es oft die Pflegekräfte, die auf Notfälle reagieren müssten.
Jens Spahn wollte die Frage von Thilo Jung übrigens nicht so stehen lassen. Er insistierte, dass es mitnichten die Strategie der Bundesregierung sei, die Intensivstationen voll zu machen, sondern, dass er die Inzidenzen senken wolle, um eben das zu verhindern. Er betonte, dass er es für falsch halte, mit strengeren Regeln zu warten, bis die Intensivstationen voll seien. Doch das wollte Lange nicht stehen lassen. „Die Intensivstationen sind ja schon voll“, sagte er und erklärte: „Die Intensivstationen waren schon voll, bevor es Corona gab. Außerhalb von Corona hat eine Intensivstation vielleicht zwei, drei freie Betten.“
Die kleinen Intensivstationen auf denen er arbeite mit zehn Betten seien ohnehin voll. Die großen, mit etwa 30 Patienten hätten mehr als 50 Prozent Covid-Patienten, sagt Lange. Die Patienten, die vorher auf der Intensivstation lagen, seinen umverteilt worden. „Also“, sagt Lange, „ist die Intensivstation ja schon voll“. Da gebe es auch keinen Interpretationsspielraum. Vor diesem Hintergrund kritisiert er auch den Virologen Hendrik Streeck, der einen Stresstest für Intensivstationen gefordert hatte. Die Intensivstationen seien wegen Personalmangel schon vor der Pandemie überlastet gewesen. Betten seien deshalb leer geblieben, weil es kein Personal gab, um potenzielle Patienten zu versorgen. Die Debatte sei längst überfällig. „Wir hätten sie vor fünf Jahren führen sollen“, so Lange.
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Lange teilt seine Erfahrungen über die Arbeit als Intensivpfleger auch auf Instagram. Nachdem Spahn mit dem Schauspieler Jan Josef Liefers über dessen Video-Aktion gesprochen hatte, meldete sich Lange bei Spahn, um auch seine Sichtweise zu teilen – und er tat es auf eindrückliche Weise.
Derweil sind die Zahlen von den Intensivstationen alles andere als beruhigend. Obwohl viele ältere Menschen schon geimpft sind, sind die Stationen ähnlich voll wie im Herbst. Laut dem DIVI-Intensivregister wurden am Donnerstag 5015 Corona-Patienten in Deutschland intensivmedizinisch behandelt. Zum Höhepunkt am 3. Januar waren es 5745. Zwischenzeitlich konnte man die Zahl auf 2700 Corona-Intensivpatienten drücken, doch das ist bereits mehr als sechs Wochen her.