Teil 3 der Serie zu Bedrohungen im Internet

Bedrohliche Privatnachrichten, gelöschte Hass-Tweets: Darf ich sie veröffentlichen? Darum ist die Angst, Straftaten anzuzeigen, nicht unbegründet!

Windige Anwälte versuchen, die Adressen von Opfern auszuspähen, doch diese können sich wehren.

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Hass-Postings und bedrohliche Privatnachrichten setzen Betroffenen zu, doch diese können sich wehren.
Hass-Postings und bedrohliche Privatnachrichten setzen Betroffenen zu, doch diese können sich wehren.dpa/Sebastian Gollnow

Die Beratungsstelle HateAid rät Leuten, die Bedrohungen im Internet ausgesetzt sind, diese zu melden und anzuzeigen. Doch wer es mit windigen Anwälten zu tun bekommt, geht damit ein Risiko ein. Worin dieses besteht und wie sich Betroffene dagegen rüsten können, verrät HateAid-Rechtsexpertin Josephine Ballon im dritten und letzten Teil der Serie zu Bedrohungen im Internet.

Berliner KURIER: Es gibt Betroffene, die Angst davor haben, eine Bedrohung anzuzeigen, weil Anwälte der Gegenseite ihre Adresse auskundschaften könnten. Ist diese Angst berechtigt?

Josephine Ballon: Leider ja. Wenn wir über die Strafanzeige sprechen, gibt es für Betroffene mehrere Probleme: Erst einmal muss ich die Beweise sichern – dann kann ich in einigen Bundesländern gar keine Online-Anzeige stellen. Im schlimmsten Fall muss ich es ausdrucken und per Post schicken. Im allerschlimmsten Fall muss ich selber zur Polizeidienststelle gehen. Viele scheuen sich davor, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben – weil ihnen geraten wurde, das Internet auszustellen, und sie gefragt wurden, was eigentlich das Problem sei, oder Schlimmeres.

Josephine Ballon, Rechtsexpertin bei der Beratungsstelle HateAid
Josephine Ballon, Rechtsexpertin bei der Beratungsstelle HateAidBallon

Das ist die erste Hürde, die man überwinden muss – und dann bestehen die meisten Polizeidienststellen darauf, dass man die persönliche Anschrift angibt. Das ist das erste Einfallstor, wo die Adresse bekannt werden kann und wo viele Betroffene wieder nach Hause gehen. Das sollte man nicht machen, und das ist auch gar nicht notwendig: Es gibt Zeugenschutzvorschriften, gerade im Feld der Hasskriminalität, vor allem im Internet; das bedeutet, dass man nicht seine Privatanschrift, sondern eine C/O-Adresse angeben kann.

Was gilt denn als C/O-Adresse?

Das kann jede Adresse sein, wo einen auch wirklich Post erreicht: eine Beratungsstelle wie HateAid, der Arbeitgeber oder irgendjemand, wo man Post erhält. Letzteres ist im Interesse der Betroffenen, denn die C/O-Anschrift soll nicht dazu dienen, sich den Verpflichtungen, die man möglicherweise als Zeugin oder Zeuge hat, zu entziehen. Das würde im Zweifel dazu führen, dass überhaupt keine Strafverfolgung stattfindet.

Es ist wichtig, sich da nicht von der Polizei ins Bockshorn jagen zu lassen. Es kam schon vor, dass die Polizei sagte, wir müssen die Adresse jetzt aufnehmen, anders geht es nicht, aber Sie können dann beim LKA anrufen, und da wird es dann gelöscht – und das LKA wusste von nichts, weil das keine übliche Praxis ist. Oder dass gesagt wurde: Bei uns geht es nur mit dem Geburtsdatum und der Adresse, aber Sie können die Anzeige ja online erstatten – und dann können Sie ja irgendwas eingeben. Das ist ein sehr fragwürdiger Rat und einer Mitarbeiterin von uns trotzdem genau so passiert. Also: Am besten nicht die eigene Adresse herausgeben, notfalls mit einer C/O-Anschrift arbeiten und über das Internet anzeigen, wo man dann tatsächlich eine C/O-Adresse eingeben kann und niemand widersprechen kann.

Kann ich noch etwas tun, um die Ausforschung meiner Privatadresse zu verhindern?

Ganz wichtig, wenn man Doxing vor allem der Privatanschrift vermeiden will: Melderegistersperre beantragen – weil es in Deutschland so einfach ist, beispielsweise mit dem Namen und dem Geburtsdatum an Melderegister-Auskünfte zu kommen. Das kostet circa zehn Euro, dauert in Berlin je nach Bürgeramt ein, zwei Wochen – und schon hat man die Privatanschrift der Person.

Kann ich so eine Melderegister-Auskunft tatsächlich als Privatperson bekommen?

Man muss ein berechtigtes Interesse angeben – das kann aber auch sein: Die Person schuldet mir Geld, ich will sie verklagen. Das wird natürlich nicht überprüft. Gerade wenn man auch aktivistisch im Netz unterwegs ist und schon einmal angefeindet wurde, dann sollte man die Melderegistersperre beantragen, das geht bei der Meldebehörde.

Was sind die Voraussetzungen für eine Melderegistersperre?

Es gab eine Gesetzesänderung, die das erleichtert für Personen, die aufgrund ihres Ehrenamts oder ihrer beruflichen Tätigkeit möglicherweise Anfeindungen ausgesetzt sein könnten. Manchmal gibt es bei der Anerkennung Probleme, aber es lohnt sich, dranzubleiben: Am Ende ist es eine Behördenentscheidung und es hilft, die Situation gründlich zu erklären. Dabei hilft auch ein Schreiben einer Beratungsstelle wie HateAid: Wir stellen regelmäßig solche Schreiben aus – Person XY ist bei uns in der Beratung, erhält Anfeindungen im Netz, und wir befürworten die Einrichtung einer Melderegistersperre.

Wenn man schon einmal angezeigt hat, kann man auch die Anzeige-Bestätigung mitbringen. Ich habe Leuten auch schon mal geraten, Kommentare auszudrucken, die sie so kriegen. Die Person in der Behörde entscheidet darüber, ob nach ihrem Ermessen eine Melderegistersperre einzurichten ist – wenn man die überzeugt, hat man da gute Karten.

Bedrohliche Privatnachrichten, gelöschte Hass-Tweets: Darf ich sie anzeigen oder veröffentlichen? Angenommen, ich werde im Netz bedroht, nachdem ich zu einem Thema meine Meinung gesagt habe – also jemand schickt mir eine Privatnachricht: Ich weiß, wo du wohnst, wo du studierst, also äußere dich nicht mehr dazu. Wenn ich das öffentlich mache oder damit zur Polizei gehe, könnten mir juristische Konsequenzen drohen, weil ich die Persönlichkeitsrechte der anderen Person nicht wahre?

Wenn ich damit zur Polizei gehe und Strafanzeige erstatte, nicht. Es ist ein Grenzfall, wenn man Privatnachrichten veröffentlicht. Es gibt Rechtsprechung aus einem anderen Bereich, nach der eine Person des öffentlichen Lebens auch damit rechnen muss, dass so etwas veröffentlicht wird. Angenommen, Olaf Scholz würde als Bundeskanzler so eine Nachricht schreiben, könnte er nicht sagen: Ich habe darauf vertraut, dass meine Nachrichten privat sind. Dann muss man damit rechnen, dass jemand damit an die Öffentlichkeit geht.

Aber bei Privatpersonen gilt das nicht?

Es kommt aber immer wieder vor, dass Privatpersonen Hassnachrichten, die sie bekommen, veröffentlichen. Ich sehe natürlich den Sinn dahinter, und ein Täter oder eine Täterin wird so etwas wohl nur eher selten abmahnen lassen. Das wäre ziemlich dumm, denn damit outet man sich ja auch. Das wollen die meisten Leute nicht, denn sie haben damit ja auch eine Straftat begangen und müssen Strafverfolgung befürchten.

Man muss da tatsächlich vorsichtig sein, wenn die Person bekannt ist und es um Privatnachrichten geht. Wenn es um Tweets oder öffentliche Kommentare geht, hat es die Person selber veröffentlicht.

Wenn sich eine Person fortlaufend hasserfüllt über eine andere Person oder Personengruppe äußert und dann systematisch ihre entsprechenden Tweets löscht, sind diese dann aus der Welt oder welche juristische Relevanz haben die gelöschten Tweets?

Wenn ich die Tweets gesichert habe, kann ich dies trotzdem anzeigen. Man kann die Straftat nicht rückgängig machen, wenn die Tweets öffentlich zugänglich waren. Käme es zu einem Strafprozess, könnte es strafmildernd wirken, wenn die Person eingesehen hätte, dass es falsch war – aber die Straftat ist geschehen.

HateAid: Beratung und Hilfe bei Bedrohungen im Netz
Frau Ballon, warum wenden sich Betroffene an HateAid, was können Sie tun und was nicht? HateAid ist ursprünglich eine Beratungsstelle, nicht zur Rechtsberatung, sondern zur psychosozialen Beratung von Betroffenen digitaler Gewalt. Digitale Gewalt ist ein Begriff, den wir ganz bewusst sehr weit fassen, weil wir alle Phänomene abdecken und allen Menschen die Möglichkeit geben wollen, sich an uns zu wenden mit dem, was sie im Internet erlebt haben. Die einzige Einschränkung, die wir haben: Es muss einen digitalen Bezug geben, weil wir darauf spezialisiert sind.
Wir bieten psychosoziale Betroffenenberatung an, emotionale Begleitung in schwierigen Situationen, wir bieten aber auch Sicherheitsberatung, also konkrete IT-Sicherheitsberatung zur Frage: Welche Informationen finde ich über mich öffentlich, wie kann ich meine Privatsphäre-Einstellungen verbessern, um private Daten besser zu schützen? Dazu bieten wir auch Kommunikationsberatung in dem Sinne: Wie gehe ich persönlich damit um, wenn ich häufiger angefeindet werde?
Alle Infos über Kontaktmöglichkeiten und Sprechzeiten auf https://hateaid.org/.