An diesem deutschen Ort kann man gerade Urlaub machen – trotz Pandemie und ganz legal
Im sächsischen Augustusburg läuft ein einmaliges Öffnungsprojekt. Hotels, Restaurants, Museen sind trotz Corona geöffnet. Wie funktioniert das? Ein Ortsbesuch.

Das Wetter lädt nicht gerade ein zum Kurzurlaub. Nach dem frühlingshaften Wochenende liegen die Temperaturen an diesem Montag nur noch knapp über null Grad, die Wolken hängen tief über der Autobahn. Auf Höhe Dresden fängt es sogar an, leicht zu schneien. Aber in diesen Zeiten muss man nehmen, was man kriegt. Das sächsische Augustusburg zum Beispiel, den einzigen Ort in ganz Deutschland, wo man derzeit Urlaub machen kann. Und zwar richtigen Urlaub – mit Schlafen und Frühstück im Hotel, mit Zeitunglesen bei Kaffee und Kuchen in der Konditorei und Abendessen mit Bier und Roulade im Restaurant.
Das gut 700 Jahre alte Augustusburg in der Nähe von Chemnitz wirbt mit dem Slogan „Stadt mit Weitsicht“. Das bezieht sich natürlich auf den herrlichen Rundumblick vom 550 Meter hohen Schellenberg, auf dem sich das Schloss Augustusburg erhebt, die „Krone des Erzgebirges“. Inzwischen aber hat der Stadtslogan noch eine weitere Bedeutung erhalten: Vor zwei Wochen, am 1. April, begann in Augustusburg ein bundesweit einmaliges Modellprojekt, mit dem die Öffnung von Hotels, Gaststätten und Museen unter Pandemiebedingungen geprobt wird. Negativ auf Corona getestete Besucher können hier Urlaub machen, Essen gehen oder das Schloss mit seinen Museen besuchen.
Bürgermeister Neubauer ist extrem optimistisch
Mit dem Projekt #neustart will die 4500 Einwohner zählende Gemeinde ein Stück Normalität im Lockdown schaffen und damit – wie es Bürgermeister Dirk Neubauer sagt – „den Menschen die Angst nehmen, dass unser Leben nie wieder so wird, wie es mal war“. Neubauer, der #neustart gegen viele Widerstände auf den Weg gebracht hat, ist optimistisch, was das Ergebnis des Versuchs anbelangt. „Das Ding wird gut ausgehen“, sagt der SPD-Politiker, der um starke Worte nie verlegen ist.
Den Impuls, nach neuen Wegen zu suchen, habe ihm der vergangene November gegeben, erzählt er. „Als damals der zweite Lockdown beschlossen wurde, da habe ich viel mit den Gastronomen hier im Ort geredet. Ich habe gesehen, dass die abschmieren, und da ging es nicht nur ums Geld, sondern vor allem um die Psyche. Da war mir klar, ich muss irgendeine Lösung finden für Augustusburg.“
Durch Zufall sei er auf die Firma Theed Technology in Mecklenburg gestoßen, die ihr Geld unter anderem mit dem weltweiten digitalen Tracking von Ersatzteilen und der elektronischen Zugangskontrolle für die Formel 1 und die Deutsche Tourenwagenmeisterschaft macht. „Da habe ich mir gesagt, wenn die mit ihrem System eine Regelung schaffen, den Zugang zu den Boxengassen zu regeln, dann können die doch so was auch mit meinem Dorf machen“, sagt Neubauer.
Negativer Test? Der Urlaub kann beginnen
Der Eingang zur „Boxengasse“ in Augustusburg liegt am Ortsrand an der Sommerrodelbahn. Die ist derzeit noch geschlossen. So steht der Parkplatz tagsüber ziemlich leer, weshalb dort die Teststation von Augustusburg eingerichtet worden ist, an der die Urlauber ihren täglichen Corona-Test absolvieren müssen.
Das Testzentrum besteht aus zwei grauen Containern. Am Fenster des ersten zeigt man seinen QR-Code vor, den man per E-Mail zugesandt bekommt, wenn man sich vorher auf der Internetseite der Stadt zum Besuch angemeldet hat. Der Mitarbeiter im Container übergibt daraufhin eine kleine Tüte mit dem identischen QR-Code, in der sich ein Teststäbchen befindet.
Nun geht es zum nächsten Container nebenan. Dort reicht man die Tüte durchs Fenster. Eine junge Frau in Schutzkleidung nimmt sie entgegen und holt das Teststäbchen heraus. Jetzt Maske runter, Mund auf, Zunge raus und „Aaaa“ sagen, während die Frau einen Abstrich im hinteren Rachenraum macht. Fertig. Das Stäbchen kommt in einen Plastebehälter und wird zusammen mit der Tüte und dem QR-Code weitergereicht zum Testen. Zwanzig Minuten später erhält man per E-Mail das Ergebnis. Auch über den QR-Code auf dem Handy lässt sich das Testergebnis nun einlesen.
Ist der Test negativ, kann der Urlaub beginnen. Man lässt nur noch seinen QR-Code vor dem Betreten der Hotels, Gaststätten und Museen im Ort scannen, dann darf man hinein. Fällt der Test aber positiv aus, werden die Betroffenen aufgefordert, sich beim Gesundheitsamt zu melden und einen PCR-Test zu machen. Ihr QR-Code wird gesperrt.
Vom 1. April bis Sonntagabend wurde insgesamt 6500 Besucher auf diese Weise getestet. Nur bei einer Handvoll von ihnen war das Ergebnis positiv, sie erhielten keine Zugangsberechtigung zu den geöffneten Einrichtungen der Stadt. Inzwischen haben auch knapp ein Fünftel der Augustusburger die Möglichkeit eines unkomplizierten Schnelltests am Parkplatz bei der Rodelbahn genutzt.

„Die Methode ist genial einfach, sicher und – das ist wichtig – vom sächsischen Datenschutzbeauftragten abgesegnet“, sagt Bürgermeister Neubauer. Und dann erzählt er, wie er alle Beteiligten zum Mitmachen überredet hat. Die Firma Theed, die den QR-Code entwickelt, die Lesegeräte zur Verfügung gestellt und dafür bislang noch kein Geld gesehen hat, wie er betont; den ADAC, der die Testcontainer auf den Parkplatz stellte („Auch für umsonst“), und das Unternehmen, das die Tests durchführt und diese über die Kassenärztliche Vereinigung abrechnet.
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Dann habe sich auch noch der Mainzer Professor Klaus Welde von der dortigen Gutenberg-Universität bei ihm gemeldet, der das Projekt nun wissenschaftlich auswertet. Auch das koste Augustusburg keinen Euro. „Professor Welde hatte vor einem Jahr schon das Masken-Projekt in Jena begleitet, wo der dortige Bürgermeister – gegen anfänglichen Widerstand aus der Bundespolitik – erstmals eine Maskenpflicht für seine Stadt angeordnet hatte“, erzählt Neubauer. Die Daten aus Augustusburg wertet der Wissenschaftler nun unter der Fragestellung aus, ob von einer kontrollierten Öffnung ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgeht oder nicht. Im Mai schon sollen erste Ergebnisse der Studie vorgestellt werden. „Dann wird sich zeigen, ob sich die so westdeutsch orientierte Bundesregierung dazu durchringen kann, auch mal in den Osten zu schauen, was man dort für Erfahrungen macht“, sagt Neubauer.
Mit solchen Sätzen kommt der 50-jährige Sozialdemokrat an, und das nicht nur in seinem Augustusburg. Neubauer, der auch mal als Journalist gearbeitet hat, ist ein begehrter Interviewpartner in Fernsehen und Rundfunk, er sitzt in Talkshows und betreibt eine eigene Internetseite, er twittert, was das Zeug hält, und liest öffentlich aus seinem Buch „Das Problem sind wir. Ein Bürgermeister in Sachsen kämpft für die Demokratie“. Höhere politische Ambitionen weist er von sich, sein „kleines gallisches Dorf mitten in Sachsen“, wie er Augustusburg gern nennt, reiche ihm völlig. Das kann man glauben oder auch nicht.
Bei der sächsischen Staatsregierung war man zunächst skeptisch
Auf jeden Fall ist der Sozialdemokrat politisch gut vernetzt im Freistaat, was ihm auch half, seine Idee von #neustart durchzusetzen. Bei der sächsischen Staatsregierung in Dresden habe man zunächst abwehrend auf die Idee des Öffnungsprojektes reagiert, sagt er, „die wollten das nicht, auch wenn sie es jetzt anders behaupten.“ Aber letztlich gab es doch grünes Licht aus der Landeshauptstadt.
Wenn man Neubauer so zuhört, kann man sich vorstellen, dass so einer nicht lockerlässt. Der Bürgermeister ist ein Typ, der viel und gut reden kann, der sich in Szene zu setzen weiß und gern auch mal hemdsärmelig auftritt. Was nicht heißen soll, dass Neubauer nicht auch diplomatisch vorzugehen weiß. Immerhin hat er, der Sozialdemokrat, den sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Kretschmer davon überzeugen müssen, seiner Stadt eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. „Das gelang aber auch nur, weil wir Oberwiesenthal mit ins Boot geholt haben für unser Projekt. Und dort regiert ein CDU-Bürgermeister“, sagt Neubauer augenzwinkernd.
Dass der Wintersportort aber kurz vor dem Projektstart am 1. April doch noch einen Rückzieher machte, liegt dem SPD-Politiker zufolge an parteiinternen Animositäten. „Oberwiesenthal liegt in einem anderen Landkreis, und der CDU-Landrat dort gab – anders als unserer hier – seine Zustimmung nicht, obwohl Kretschmer ihn kurz zuvor noch angerufen und um Zustimmung gebeten hatte“, sagt er. „So ist das eben mit den Landes- und Kreisfürsten in der Bundesrepublik, die haben zu viel Macht und leben das mitunter sehr genussvoll aus. Zum Leiden der Allgemeinheit.“

Ute Dathe vom Ferienhotel Augustusburg ist begeistert vom Initiativgeist ihres Bürgermeisters. Ihr Haus mitten im vornehmen Villenviertel am Fuße des Schlossbergs gehört zu den vier Hotels des Ortes, die am Modellprojekt teilnehmen. „Vier Hotels für ganz Deutschland“, sagt die 55-Jährige und strahlt. „Wiesbaden, München, Mainz, Berlin, Dresden, Leipzig – seit Ostern kommen die Menschen aus der ganzen Republik hierher. Mein Telefon steht gar nicht still.“ Sogar aus Börnichen, einem kleinen Dorf zehn Kilometer entfernt, habe sie vor ein paar Tagen Übernachtungsgäste gehabt. „Die haben hier ihren Hochzeitstag gefeiert. Wir können doch nirgendwohin essen gehen, haben sie gesagt. Also sind sie hergekommen in mein Hotel.“
Im Röstcafé unterhalb des Schlosses scannt Inhaberin Annette Schaufuß den QR-Code und lässt den Besucher dann in die kleine Gaststube. „Heute habe ich leider nur drinnen geöffnet, aber bei dem warmen Wetter am Wochenende war mein Garten voll mit Besuchern“, erzählt die Wirtin. Auch sie findet das #neustart-Projekt gut. „Ich habe den ganzen Winter hindurch während des Lockdowns aus dem Fenster heraus Kaffee, Tee und Kuchen verkauft“, sagt sie. Viel los sei natürlich nicht gewesen, aber in den letzten Tagen seien viele Neugierige auch von weit weg nach Augustusburg gekommen.
Nun hofft sie darauf, dass das Modellprojekt erfolgreich ist. Ärgerlich erzählt sie von Gästen am Wochenende, die sich in ihren Garten gesetzt hätten, ohne sich vorher testen zu lassen. „Als ich sie nach ihrem QR-Code fragte, sagten sie, sie lehnen solche Tests ab. Das verstehe ich nicht, da ist doch nichts dabei.“ Sie habe die Leute gebeten, den Café-Garten zu verlassen, sie dürfe sie nicht bedienen. Erst als sich die Menschen an den umliegenden Tischen mit einmischten, seien sie auch gegangen.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer
Bürgermeister Neubauer hat von solchen Fällen auch gehört. Doch das seien Ausnahmen, betont er. Auch im Ort gebe es ja Zweifler, die Corona nicht ernst nehmen wollen oder Front machen würden gegen die Pandemie-Maßnahmen. „Bei vielen Menschen hat sich die Angst sehr tief in Knochen und Seelen eingefressen. Und auch ich mache mir Sorgen: Wer sagt uns denn, dass die einst funktionierende Stadtgesellschaft wiederkommt, dass die Vereine wieder zum Leben erweckt werden können nach der Pandemie? Dass wir unsere Demokratie bewahren können?“
Und nun droht auch noch die Bundesnotbremse. „Wenn man nur auf die Zahlen schaut, müssten wir hier alles dichtmachen“, sagt er. „Wir haben im Landkreis eine Inzidenz von über 260, in Augustusburg liegt sie über 300. Weil wir 15 Infizierte haben im Ort, 15 von 4500 Einwohnern.“ Diese Zahl sei seit dem Start des Modellprojekts zu Ostern nur ganz leicht gestiegen. „Aber da es ja immer nur nach Zahlen geht, habe ich die große Sorge, dass mit dem neuen Infektionsschutzgesetz unser Projekt hier nun plattgemacht wird“, sagt er.
Dabei wäre das Modellprojekt in Augustusburg, wenn es funktioniert, ein kleiner, aber wichtiger Schritt, um den Menschen wieder Mut zu machen. Ihnen zu zeigen, dass es Lösungen gibt, Perspektiven. „Ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser Zeit“, sagt Neubauer. „Das wäre ja auch schon mal was.“