In Attendorn wurde ein achtjähriges Mädchen fast sein gesamtes Leben lang eingesperrt. Gegen die Mutter des Kindes und die Großeltern ermittelt die Staatsanwaltschaft.
In Attendorn wurde ein achtjähriges Mädchen fast sein gesamtes Leben lang eingesperrt. Gegen die Mutter des Kindes und die Großeltern ermittelt die Staatsanwaltschaft. Markus Klümper/dpa

Es waren mysteriöse Briefe, die das Jugendamt wohl so nicht jeden Tag bekommt. Es waren Briefe mit erschreckendem Inhalt. Und trotzdem haben die Verantwortlichen jahrelang nicht gehandelt. Neue Details rund um den Fall des 8-jährigen Mädchens, das ihr Leben lang in einem Haus in Attendorn gefangen gehalten wurde, belasten die Verantwortlichen schwer.

Seit Herbst 2020 erhielt das Jugendamt mehrfach Post in der Sache. Zunächst einen Brief aus Sicht des Mädchens geschrieben. Besonders skurril: Der Text war aus ausgeschnittenen Buchstaben zusammengesetzt.

Und es ist auch nicht so, dass das Jugendamt den Brief ignoriert hätte. Es hakte bei der Krankenkasse nach. Verdächtig: Die teilte dem Jugendamt mit, dass die Mutter – die mit ihrer Tochter angeblich 2015 nach Italien gezogen war – noch Beiträge in Deutschland zahle. Weitere Recherchen des Jugendamts unter anderem bei Kinderärzten ergaben nichts, weshalb der Brief offenbar ad acta gelegt wurde. Ein Besuch vor Ort bliebt demnach scheinbar aus.

Eingesperrtes Mädchen in Attendron: Es gab ominöse Hinweise

Doch die anonymen Tippgeber gaben nicht auf. Sechs Wochen später folgte laut den bisherigen Ermittlungen ein zweiter anonymer Brief, diesmal angeblich von Freunden, Bekannten und Nachbarn verfasst.

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Im Herbst 2021 gab es eine weitere Meldung beim Jugendamt mit konkreten Hinweisen. Erstmals wurde nach dpa-Informationen nun die Polizei vom Amt informiert. Die Mitarbeiterin berichtete demnach der Polizei von einem „ominösen“ Hinweis auf ein gefangenes Mädchen – und fragte, ob man das Haus durchsuchen könne. Die Polizei fragte im Gegenzug, ob das Jugendamt denn schon vor Ort gewesen sei.

In diesem Haus im sauerländischen Attendorn wurde ein achtjähriges Mädchen fast sein gesamtes Leben lang  festgehalten.
In diesem Haus im sauerländischen Attendorn wurde ein achtjähriges Mädchen fast sein gesamtes Leben lang festgehalten. Markus Klümper/dpa

Und weil das ja in über einem Jahr noch immer nicht passiert war, schickte die Polizei das Jugendamt erstmal selbst zum Haus. Am 15. Oktober 2021 sollen also zwei Mitarbeiter unangekündigt bei der besagten Adresse vorbeigeschaut haben. Die Großmutter und der Großvater des Mädchens, die offiziell dort wohnten, öffneten die Tür, ließen das Jugendamt aber nicht herein. Tochter und Enkelin seien auch nicht da. Die Mitarbeiter zogen wieder ab.

Danach habe sich das Amt – so die Darstellung der Polizei – nicht mehr gemeldet.

Erst im Juni 2022, fast zwei Jahre nach dem ersten Brief, kam Bewegung in den Fall: Ein Ehepaar meldete sich beim Jugendamt, das über Umwege von dem Mädchen erfahren hatte und konkrete Hinweise gab.

Jugendamt in Attendron wurde erst im Sommer 2022 wirklich aktiv

Das Jugendamt fragte nun in Italien nach, ob das Mädchen mit der Mutter wirklich dort lebt. Acht Wochen später die Antwort: Nein. Erst jetzt kontaktierte das Jugendamt laut den Ermittlungen wieder die Polizei. Die rief mehrere Zeugen an, fuhr an der Adresse vorbei, durfte nicht rein - und stürmte das Haus wenige Tage später mit richterlichem Beschluss. Das war am 23. September.

Die Achtjährige schlief da mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen Zimmer. Sie wirkte laut den Ermittlern normal, ordentlich angezogen und konnte sich gut ausdrücken. Nur das Treppensteigen fiel ihr schwer. Ärzte checkten das Mädchen durch - alles gut. Die Ermittler gehen nach früheren Angaben davon aus, dass die Achtjährige rund sieben Jahre das Haus nicht verlassen durfte.

Ermittelt wird inzwischen gegen die Mutter und die Großeltern. Aber auch das Jugendamt ist im Visier der Staatsanwaltschaft - wegen des Anfangsverdachts der Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Was bisher nicht bekannt war: Bereits eine Woche nach der Befreiung des Mädchens rückte die Staatsanwaltschaft beim Jugendamt ein - und beschlagnahmte einige Akten. An diesem Donnerstag beschäftigt sich der Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags mit dem Fall.