Einsatz im Görlitzer Park: Polizisten befürchten, dass sie künftig unberechtigten Diskriminierungsvorwürfen ausgesetzt sind – etwa bei der Kontrolle von Drogendealern.
Einsatz im Görlitzer Park: Polizisten befürchten, dass sie künftig unberechtigten Diskriminierungsvorwürfen ausgesetzt sind – etwa bei der Kontrolle von Drogendealern. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin gibt sich ein Antidiskriminierungsgesetz. Es wurde am Donnerstag mit den Stimmen von SPD, Linkspartei und Grünen im Abgeordnetenhaus beschlossen. Damit ist Berlin das erste Bundesland, das behördliche Diskriminierung von Bürgern, etwa wegen ihrer Herkunft, mit einer zusätzlichen Regelung verbieten will. „Das ist ein Meilenstein in der Antidiskriminierungspolitik dieses Landes mit bundesweiter Strahlkraft“, erklärte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne).

Gegen das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG), das in Behrendts Verwaltung erarbeitet wurde, gibt es massiven Protest. CDU, FDP, AfD, sämtliche Berufsverbände der Polizei und der Gesamtpersonalrat befürchten erhebliche Auswirkungen auf die Polizeiarbeit. Vor kurzem hatten alle 16 Landesverbände der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Berliner Abgeordneten aufgefordert, das Gesetz abzulehnen. Sie drohten, in ihren Bundesländern darauf hinzuwirken, künftig keine Unterstützung mehr zu Großeinsätzen wie dem 1. Mai nach Berlin zu schicken.

Polizisten befürchten, dass sie künftig unberechtigten Diskriminierungsvorwürfen ausgesetzt sind – etwa bei der Kontrolle von Drogendealern und beim Vorgehen gegen Clan-Kriminalität. Denn eine Regelung im Gesetz lautet: „Werden Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes (…) überwiegend wahrscheinlich machen, obliegt es der öffentlichen Stelle, den Verstoß zu widerlegen.“ In den Augen der Kritiker ist das eine Beweislastumkehr, was Senator bestreitet.

Kritiker befürchten Klageflut

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Verbandsklagerecht. Vereine können nun die Rechte eines Betroffenen einklagen. Schon ein Internetvideo könne nun eine Klage auslösen, ohne Zutun des Betroffenen, befürchtet man bei der GdP.

Bei gerichtlich festgestellten Verstößen haben Betroffene Anspruch auf Entschädigung, die in einer Höhe von 300 bis 1000 festgesetzt werden kann und in besonders schweren Fällen auch über 1000 Euro.

Berufsverbände wie die GdP oder „Unabhängige“ argumentieren, die Verwaltung arbeite bereits jetzt diskriminierungsfrei. Jeder Bürger könne gegen ihn gerichtete polizeiliche Maßnahmen prüfen lassen. Zudem befürchten die Kritiker eine Klageflut. Sebastian Walter, Sprecher für Antidiskriminierung (Grüne), erwartet keine Flut von Klagen und falschen Beschuldigungen. Dies sei auch bei dem 2006 beschlossenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ausgeblieben, sagte er bei der Aussprache im Abgeordnetenhaus. Das AGG bezieht sich auf privat- und arbeitsrechtliche Fragen. Es gilt jedoch nicht für die Verwaltung, weshalb die Koalition diese Lücke schließen will.

CDU beklagt Umkehr der Beweislast

„Wenn man Vorwürfe erhebt, ohne sie belegen zu können, ist das nicht nur unverschämt, sondern ein zutiefst diskriminierendes Verhalten“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger. „Das LADG diskriminiert unsere Landesbediensteten. Für jeden Verbrecher gilt die Unschuldsvermutung. Aber Sie drehen ausgerechnet jenen die Beweislast um, die diesem Rechtsstaat dienen.“ Holger Krestel von der FDP nannte das Gesetz „eine schallende Ohrfeige“ in die Gesichter der Polizisten.

Die AfD setzte in der Plenarsitzung eine namentliche Abstimmung durch. „Alle Berliner Polizisten sollen sehen, welche Abgeordneten zu ihnen stehen und welche ihnen hinterhältig in den Rücken fallen“, so AfD-Fraktionsgeschäftsführer Frank-Christian Hansel. Wenn eine Fraktion einen Antrag auf namentliche Abstimmung stellt, muss diesem laut Geschäftsordnung stattgegeben werden. Allerdings hatten sich im März alle Fraktionen – auch die AfD – darauf geeinigt, wegen der Corona-Pandemie auf namentliche Abstimmungen zu verzichten.

Die Grünen-Fraktionsspitze war sich sicher, das Gesetz durchzubekommen und nahm den Jubel vorweg: Am Mittag versammelte sie sich vor dem Parlament zusammen mit Aktivisten von Migranten- und Behindertenverbänden. Ausgestattet mit den vier goldenen Luftballonbuchstaben L, A, D und G wurde mit einem Glas Sekt angestoßen.

„Heute ist ein historischer Tag“, sagte Co-Fraktionschefin Antje Kapek. „Rot-Rot-Grün schreiben zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode Rechtsgeschichte – nach dem Mobilitätsgesetz und dem Mietendeckel.“ Bei dem Gesetz handle es sich nicht um ein Misstrauensvotum oder einen Generalverdacht gegen Polizisten. Sondern es solle tief in die Gesellschaft hineinwirken, in der es immer wieder zu Diskriminierungen komme. „Mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz schließen wir eine Lücke und sagen damit Berlin, Deutschland, der ganzen Welt: Diskriminierung hat bei uns keinen Platz. Wir schreiben es sogar ins Gesetz“, so Kapek.