Die obskure Welt des Internets, made in Berlin
Der KURIER entlarvte zwei falsche Advokaten – es steckt noch viel mehr hinter dem Schwindel.

Der Nebel um die nicht existierende Berliner Rechtsanwaltskanzlei von „Dr. Erich Stahlberg“ und „Hartmann“ lichtet sich. Anscheinend betreibt sie eine Form von Erpressung, indem sie erst negative Bewertungen von Firmen im Internet platziert und dann anbietet, sie gegen Geld zu beseitigen. Weiterhin gibt es eine Flut von Indizien, dass die Fake-Kanzlei am Kudamm nur ein kleiner Teil einer groß angelegten Geldmaschine im Graubereich des Internets sein dürfte, hinter der ein Norbert W. (52) steckt.
Wie der KURIER berichtet hatte, gibt es es an der Adresse der angeblichen Kanzlei keine Rechtsanwälte, die Fotos von „Stahlberg“ und „Hartmann“ zeigen zwei unbeteiligte, echte Anwälte aus Skandinavien, die ganz anders heißen. Die Rechtsanwaltskammer Berlin warnt vor Stahlberg und Hartmann, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Von Anfang an: Ein Unternehmer im Raum Berlin mit festem Kundenstamm fand vor wenigen Monaten eine schlechte Bewertung seiner Firma von einem angeblichen Kunden, den er nicht kannte. Wenige Wochen später bekam der Mann eine Mail von „Dr. Stahlberg“, der ihm versprach, für 149 Euro die negative Bewertung entfernen zu können, wenn sich der Unternehmer über die Internet-Seite ihre-reputation.de an ihn wende.
Der Unternehmer wurde wegen des zeitlichen Zusammenhangs misstrauisch und fragte bei Denic nach, einer Firma, die Internet-Auftritte („Domains“) mit der Endung „.de“ verwaltet. Denic teilte ihm mit, dass die Domain „ihre-reputation.de“ einem Norbert W. mit Adresse auf Mallorca gehöre – mit einer Mailadresse der Firma „goldstar-marketing.net“.
Wer mit diesen Angaben das Internet durchsucht, stößt auf ein Geflecht von Firmen, die auf Malta und in Berlin, aber eben auch auf Mallorca oder den pazifischen Cook-Inseln beheimatet sind.
Ihre Internetseiten erscheinen samt und sonders obskur und dürften auf die eine oder andere Art mit Norbert W. verbunden sein. Die Leistungen, die sie anbieten, drehen sich darum, dass sie Unternehmen helfen, im Netz besser dazustehen und damit das Geschäft zu beleben. So verkaufen sie gute Bewertungen bei Google, Amazon, mobile.de, Immobilienscout und vielen anderen Plattformen.

Eine der Hauptfiguren ist Simon R., der auf Malta eine Kanzlei betreibt, in diesem Zusammenhang aber wohl nur ein Strohmann sein dürfte. In einem Video tritt ein Mann auf, der angeblich der Brite Simon R. ist (aber vollkommen akzentfrei deutsch spricht) und sich als Geschäftsführer eines maltesischen Unternehmens vorstellt. Es gehört über ein Unternehmen auf den Cook-Inseln Norbert W..

Derselbe Simon erscheint in einem Youtube-Video als „Ludwig“. Da wirbt er für eine Internet-Seite, die anbietet, dass man als Produkttester Geld verdienen könne. Sie wiederum gehört einer Firma, die in der gleichen Neubauvilla in Grunewald residiert, in der Norbert W. mit einer Geschäftspartnerin eine Internet-Firma betreibt und laut Impressum eine Besucheradresse am Kudamm hat, wo sie nicht zu finden ist.
Allen Seiten ist gemein, dass sie so aussehen, als seien sie mit dem gleichen Homepage-Baukasten gestrickt. Etliche Bilder angeblicher Mitarbeiter stammen aus kommerziellen Fotobibliotheken wie Shutterstock und zeigen nicht die Person, die sie abzubilden vorgeben.

Es werden außerdem Rechtsanwälte wie ein „Ullrich Störmer“ gezeigt. Nur leider stammen auch hier Gesichter aus Fotobibliotheken, oder sie sind wie bei „stahlberg-hartmann.de“ von den Seiten echter Kanzleien geklaut. So gibt es zwar im offiziellen deutschen Rechtsanwaltsverzeichnis einen Ulrich Störmer, aber nur mit einem „L“, der ganz und gar nicht so aussieht wie der Mann auf dem Shutterstock-Bild.
Ein Anwalt, der eine große Kanzlei mit Niederlassungen in ganz Deutschland leitet, sagte dem KURIER: „Es ist schon komisch, wenn man auf diesen Seiten seine eigenen Mitarbeiter mit falschem Namen sieht.“ Auch Textbausteine sind auf den verschiedenen Seiten vielfach nur abgekupfert.
Der KURIER erreichte Norbert W. am Mobiltelefon. Der offenkundig rührige Mann, dessen mutmaßlich echte Fotos im Netz ihn als Stadtführer in Salzburg, als Immobilien-Makler auf Mallorca, als Rohrreinigungsunternehmer in Erlangen oder als Autor eines Buchs über Suchmaschinen-Optimierung zeigen, sagte: „Ich kenne keinen Simon R..“ Ein Dr. Stahlberg sei ihm so unbekannt wie „ihre-reputation.de“ oder„ goldstar-marketing.net“. Er vermiete nur Seiten.

Das Unternehmen aus Grunewald, das Produkttester sucht und im selben Haus sitzt wie die Firma für Internet-Marketing, an der er beteiligt ist, kenne er auch nicht.
Nach der Vielzahl seiner Tätigkeiten befragt, antwortete W., er sei da wie Elon Musk, der Autos baue und Raumfahrt betreibe, nur kleiner.
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegenwärtig gegen „Dr. Erich Stahlberg“ wegen des Verdachts des Titelmissbrauchs. Bei ihren Untersuchungen dürfte sie auch auf die verschiedenen mutmaßlichen Verbindungen zu Norbert W. – für den die Unschuldsvermutung gilt – stoßen und klären wollen, wer da ein illegales „Geschäftsmodell“ betreibt. Nämlich Firmen im Internet erst schlechte Bewertungen durch erfundene Kunden zu verpassen und ihnen dann gegen Geld zu versprechen, die Bewertungen wieder verschwinden zu lassen.