Berliner Landgericht

Anissa (5) erstochen: Wer trocknet die Tränen ihrer Mutter?

Im Gerichtssaal saß die Mutter von Anissa, Sibel C., dem Mann gegenüber. Sie musste immer wieder mit den Tränen kämpfen. Er schweigt.

Teilen
Berlin: Die Nebenklägerin (r.), Anissas Mutter, betritt einen Gerichtssaal im Kriminalgericht Moabit und verdeckt ihr Gesicht mit einem Ordner. Sie kämpft mit den Tränen.
Berlin: Die Nebenklägerin (r.), Anissas Mutter, betritt einen Gerichtssaal im Kriminalgericht Moabit und verdeckt ihr Gesicht mit einem Ordner. Sie kämpft mit den Tränen.Paul Zinken/dpa

Ganz in Schwarz gekleidet, schwarzes Kopftuch und bittere Tränen: Nach dem Tod ihrer fünf Jahre alten Tochter saß Sibel C. (25) dem mutmaßlichen Täter gegenüber.

Anissa, ihr ältestes Kind, wurde brutal aus dem Leben gerissen. Mit sieben Messerstichen unter anderem in den Bauch- und Brustbereich. Es geschah im Bürgerpark Pankow. Gökdeniz A. (20), ein Bekannter der Familie, steht nun vor dem Landgericht.

Rundes Gesicht, Dreitagebart, den Mund halb geöffnet saß A. auf der Anklagebank. Keinen Schulabschluss, keinen Beruf erlernt, bereits vorbestraft wegen Diebstahls. Regungslos hörte er die Anklage – von Totschlag geht die Staatsanwaltschaft aus.

Mutter von Anissa ist Nebenklägerin

Die Mutter als erste Zeugin. Einen Anti-Stress-Ball in Orange in einer Hand. Immer wieder Tränen. Sie wandte sich einmal direkt an Gökdeniz A.: „Warum, warum dieses Kind, warum sie? Habe ich dir je was Schlechtes getan?“

Sie hofft auf Antworten und ist auch Nebenklägerin im Prozess. Doch Gökdeniz A., den sie seit Jahren kennt, schweigt. Die Mutter: „Ich verstehe nicht, warum er wegen Totschlag und nicht wegen Mordes angeklagt ist.“ Doch weil er sich noch nie zu den Vorwürfen geäußert hat, ist ein mögliches Mordmotiv unklar. Ein Anwalt: „Deshalb Totschlag – es ist eine Rechtsfrage.“

Der 21. Februar. Gökdeniz A. war wieder einmal bei der vierfachen Mutter in Pankow. Er kam, weil es bei ihm zu Hause wohl Zoff gab. Sie wollte ihm helfen – „er hat mich große Schwester genannt.“ Sie organisierte auch eine andere Unterkunft für ihn. Um 18 Uhr sollte er sich dort melden.

Anissa wurde im Gebüsch gefunden

Um 13 Uhr machten sie sich auf zum Spielplatz hinter dem Rathaus-Center Pankow. Die Kinder bekamen dann Hunger. Die Mutter lief nach Hause – „ich hatte kein Geld, ich wollte Essen zubereiten.“

Sie vertraute A. für kurze Zeit ihre Kinder an. Sie hielt ihn für einen „ganz normalen Jungen“. Der Babysitter soll gegen 15 Uhr mit Anissa den Spielplatz verlassen haben. Als er ohne das Mädchen zurückkehrte, alarmierten Zeugen die Polizei. Eine große Suchaktion wurde gestartet.

Er soll damals erklärt haben: „Anissa musste auf die Toilette.“ Sie seien deshalb zu einem Restaurant gegangen – „dann ist sie abgehauen“. Die Mutter im Prozess: „Er hat so getan, als wüsste er nicht, wo sie ist. Er hat uns in die Irre geführt.“

Eine fieberhafte Suche. Bis Passanten das Kind gegen 17.40 Uhr etwa einen halben Kilometer entfernt vom Spielplatz entdeckten – leblos im Bürgerpark in einem Gebüsch. Retter versuchten, das Mädchen zu reanimieren. Anissa starb im Krankenhaus.

Mutter von Anissa macht sich Vorwürfe

„Sie war ein ruhiges, liebes Mädchen“, weinte die Mutter. „Bei ihr wusste ich, dass ich bei der Erziehung alles richtig gemacht habe.“ Warum die schreckliche Tat? War es Frust, weil er sich wegen Stress mit seiner Familie in eine Jugendeinrichtung begeben sollte? Die zweitälteste Tochter sprach später davon, dass Anissa „auf dem Spielplatz eine Strafe bekam, sie musste dann zur Toilette, er kam ohne sie zurück“.

Die Mutter, die sich nun Vorwürfe macht: „Ich hätte ihm die Kinder nicht anvertrauen dürfen. Im Nachhinein war es ein Fehler.“ Sie habe in den Tagen vor der Tat ein Küchenmesser bei ihm gefunden – „ich hätte es ihm wegnehmen können. Aber ich dachte, jeder Vollidiot trägt ein Messer.“ Die mutmaßliche Tatwaffe nun auf dem Richtertisch. Die Mutter tapfer: „Das Messer, das ich sah, war vorn anders.“ Fortsetzung: Donnerstag.