Berlins Unterwelt in Aufruhr
Razzia und Verhaftungen: Clanmitglieder sollen mit Drogen und Maschinenpistolen gehandelt haben
Die Unterwelt ist in Aufruhr, weil die Polizei ein kriminelles Chat-Netzwerk knacken konnte. Außerdem bekommen die Kriminellen brutale Konkurrenz aus Tschetschenien.

Morris Pudwell
Ein Beben geht durch die Unterwelt. Das hat zwei Gründe. Erstens: Seit französische Ermittler im vergangenen Jahr ein kriminelles Chat-Netzwerk hackten, können Schwerkriminelle in ganz Europa nicht mehr ruhig schlafen. Einige wurden auch vorzeitig aus dem Bett geholt, als am Donnerstagmorgen Beamte der GSG9 und des Berliner SEK in 22 Objekte eindrangen und Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckten. Zwei Männer im Alter von 44 und 22 Jahren, die zu einem bekannten arabischen Clan gehören, wurden verhaftet. Ihnen und einem weiteren 22-jährigen Deutschen, der bereits in Haft sitzt, werden organisierter Drogenhandel und Handel mit Kriegswaffen wie Maschinenpistolen sowie Körperverletzung vorgeworfen.
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Zudem soll der 44-Jährige eine Marihuana-Plantage und ein „Kokain-Taxi“ betrieben haben. Deshalb durchsuchten Brandenburger Polizisten in Neuhardenberg, südlich von Berlin, eine Lagerhalle. Dort sollen Drogen verschiedener Art gelagert gewesen sein, von Marihuana über Kokain bis Heroin.
Die Staatsanwaltschaft vollstreckte Vermögensarrestbeschlüsse über eine Gesamtsumme von 300.000 Euro: Die Konten der Kriminellen wurden eingefroren, und sie mussten ihre luxuriösen Autos der Staatsanwaltschaft überlassen.
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Geheime Chat-Nachrichten entschlüsselt –Clan-Größen redeten „frank und frei“
Auf die Bande war das BKA gestoßen, als es Erkenntnisse aus dem Encrochat-Netzwerk auswertete. Das holländische Unternehmen Encrochat bot verschlüsselte Android-Handys mit einem eigenen Messengerdienst an. Es hatte etwa 60.000 Kunden. Die meisten benutzten die Chats, um Straftaten abzusprechen. Viele Größen der Organisierten Kriminalität hätten dort „frank und frei“ geplaudert, ohne Codewörter zu benutzen, sagt ein Ermittler.
2020 konnten französische Ermittler das Netzwerk knacken und auf den Handys Spionagesoftware installieren. Sie lasen die Chats Zehntausender Kunden mit. So konnten niederländische Polizisten mehrere Drogenlabore ausheben und Auftragsmorde verhindern. Die Kriminellen fühlten sich bei ihrer Kommunikation sicher, weil sie glaubten, die Technik sei nicht zu knacken. Das Eindringen in die Technik des Anbieters habe dann „Schockwellen durch organisierte Verbrecherbanden quer durch Europa“ geschickt, hieß es damals von der Justiz.
Hunderttausende Chatverläufe von 3000 deutschen Nutzern – darunter die des nun verhafteten 44-Jährigen – übergab Frankreich dem BKA. „Beide Verhaftungen beruhten auf Encrochat“, sagte Oberstaatsanwalt Thorsten Cloidt am Donnerstag. Aus den entschlüsselten Chats gebe es ausgesprochen wertvolle Erkenntnisse, sagte Oberstaatsanwalt Georg Bauer. Es gehe ausschließlich um Schwerst- und Bandenkriminalität. „Wir werden in Zukunft noch viel über Encrochat-Verfahren berichten können.“
Ein weiterer Auslöser für die Großrazzia, an der 500 Polizisten beteiligt waren, ist eine gewalttätige Auseinandersetzung – die für den zweiten Grund für das derzeitige Beben in der Unterwelt steht. Am 7. November hatte ein Trupp Tschetschenen einen Spätkauf in Neukölln überfallen, der mit dem Clan des 44-Jährigen in Verbindung steht. Wechselseitig wurden Messer, Hämmer und Schlagstöcke eingesetzt. Die Ermittlungen hierzu führt das Berliner LKA, das davon ausgeht, dass es weitere Kämpfe zwischen Tschetschenen und arabischen Clans geben wird.
Trotz elektronischer Fußfessel Spätkauf überfallen –Großrazzia mit 500 Polizisten
Bei dieser Schlägerei war der 44-Jährige dabei und soll Körperverletzungen begangen haben, obwohl er wegen schwerer Straftaten unter Führungsaufsicht stand und eine elektronische Fußfessel trug. Ermittler durchsuchten den Spätkauf und die nahe gelegene Wohnung des 44-Jährigen. Bei seiner Festnahme wurden die Polizisten aus den Fenstern mit Seifenlauge beschüttet und von Kinder bespuckt. Der Mann ist abgelehnter Asylbewerber. Eine Abschiebung in den Libanon scheiterte in den vergangenen Jahren immer wieder, weil das Land nicht bereit ist, Papiere für ihn auszustellen.
Die Prügelei im November war der Auftakt für Racheakte und weitere Schlägereien zwischen Arabern und Tschetschenen. Fahnder beobachten, dass tschetschenische Banden in Berlin und anderen Städten immer weiter ins kriminelle Milieu vordringen. Sie wollen an den riesigen Gewinnen aus den Kokainverkäufen teilhaben. Es gehe es nicht unbedingt darum, selbst Kokaingeschäfte einzufädeln, sondern darum, die Standgebühren zu kassieren, die die Dealer bisher an die Clans entrichten, sagt ein leitender Ermittler. Tschetschenische Kriminelle gelten als äußerst brutal und gewaltbereit. Sie wurden in zwei Kriegen gestählt und waren zum Teil im bewaffneten Dschihad.