Landgericht Moabit
Bushido-Prozess als Spektakel: Die Gerichtsdiener müssten Eintritt verlangen für diese Show
Unser Autor sitzt seit Monaten hinter Bushido, wenn er vor Gericht von seiner Freundschaft zu Arafat Abou-Chaker erzählt. Das ist: verdammt gute Unterhaltung.

Irgendwann am 28. Prozesstag, Ende März, lehnt sich Bushido nach vorn auf seinem Sitz und lächelt die Sachverständige quer durch den Saal an. „Sie müssen keine Sorge haben“, sagt er charmant zu ihr, „dass die Distanz zwischen uns hier verschwindet.“ Der Saal lacht, ich lache auch. Das ist so ein typischer Bushido-Move. „Stellen Sie sich vor, wir beide würden …“ — so beginnt Bushido gern ein Beispiel und will damit etwas erklären. Mal wird der Vorsitzende Richter Martin Mrosk in solche fiktiven Situationen verwickelt, mal die Oberstaatsanwältin Petra Leister. Immer kommt er damit durch.
Hier meint er die professionelle Distanz, er ist schließlich Deutschlands bekanntester Rapper und sie eine Sachverständige vor Gericht. „Wenn ich hier rausgehe und wir uns auf der Straße begegnen, werden wir trotzdem freundlich distanziert sein.“ Bushido will mit diesem Satz nur deutlich machen, dass das mit den Abou-Chakers anders war. Wenn er mit Yasser Abou-Chaker eben noch ein Gespräch geführt hat, konnte es sein, dass Yasser kurz darauf herumschrie oder sich sonst auffällig benahm. „Das Drogenproblem ist eines, das ich annehme“, sagt er über Yasser. Der schaut stumm und regungslos zu ihm rüber „Ich war zumindest nie anwesend beim Konsum von Drogen“, sagt Bushido, „auch nicht auf meinem Anwesen.“ Er fasst zusammen: „Ich war abwesend auf dem Anwesen.“ Wieder lachen alle.
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Lehrreicher als jede Folge „Bahnhof Zoo“ auf Amazon
Ich bin jetzt seit rund einem halben Jahr im Gericht, wenn Bushido von seiner Zeit mit Arafat Abou-Chaker erzählt. Es ist einer dieser Termine, die so viel über diese Stadt erzählen und ihren Kampf gegen Kriminalität, die Vermischung mit Prominenten aus Kultur und Boulevard, auch über Drogen und was sie anrichten können. Wie Bushido vergangene Woche den Aufstieg und Fall von Yasser Abou-Chaker beschreibt: Das ist lehrreicher als jede Folge „Bahnhof Zoo“ auf Amazon. Vor allem ist es unglaublich unterhaltsam. Der Prozess begann im August 2020 und sollte im Frühjahr vorbei sein. Jetzt wird er noch bis mindestens September andauern, heißt es. Zu lang ist die Liste der Zeugen, zu kompliziert ist dieser Fall, der hier verhandelt wird.
Wenn ich Freunden von diesen zum Teil unglaublichen Stunden im Saal 500 des Landgerichts Moabit erzähle, die ich mit Bushido erlebt habe, dann fragen sie oft, warum Bushido überhaupt angeklagt ist. Dabei ist er der Nebenkläger in einem Verfahren gegen seinen ehemaligen Freund Arafat Abou-Chaker. Arafat gilt als „Führungsfigur“ des Clans der Abou-Chakers, Palästinenser aus dem Libanon. Laut Staatsanwaltschaft soll er Bushido am 18. Januar 2018 in seinem Büro eingesperrt, ihn mit einer halbvollen Plastikflasche und einem Stuhl attackiert, ihn und seine Familie beleidigt und bedroht haben. Weil Arafats Brüder Nasser, Yasser und Rommel dabei gewesen sein sollen, sind sie ebenfalls angeklagt. Das Komplizierte: Mindestens 14 Jahre lang war Arafat nicht nur der beste Freund Bushidos, sondern auch sein „Rücken“, seine Versicherung, dass ihm niemand etwas tut in der Gangster-Rap-Welt.
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Und genau diese Jahre werden vor Gericht aufgeblättert, ein Sittengemälde, das Porträt einer Freundschaft, die Bushido „Zwangsehe“ nennt. En Detail beschreibt er wie sie auf ein Grundstück ziehen wollen, wie ihre Geschäftsverbindungen enger wurden, wie sie um Religion, Alkohol und Frauen stritten. Dann am 16. Verhandlungstag beschreibt er den Tag an dem alle Stricke reißen, seine Stimme zittert. Er erzählt, wie sie fünf Stunden lang streiten, einander anschreien, als Arafat plötzlich ganz nah an sein Gesicht kommt. Bushidos Stimme stockt, als er wiederholt, was ihm Arafat damals fast zuflüstert: „Weißt du was? Zuerst ficke ich deinen Vater, dann ficke ich deine Mutter, dann ficke ich deine Frau, dann ficke ich deine Kinder und ganz zum Schluss – ficke ich dich.“
In dem Saal wurde bereits gegen Erich Honecker und Arno „Dagobert“ Funke verhandelt
Dieser ehrwürdige Saal, in dem die Verhandlungen gegen Erich Honecker, gegen Arno „Dagobert“ Funke und einst gegen den Hauptmann von Köpenick geführt wurden, muss einiges ertragen an derber Sprache während dieser Bushido-Show. Meist zitiert er andere mit ihren Ausdrücken wie „in den Mund gekackt“. Doch es kann auch passieren, dass es eine der Beisitzerinnen ganz genau wissen will. Dann fragt sie: „Wenn in einem Rap die Mutter eines Gegners ‚gefickt’ wird — was genau bedeutet das?“ Bushido erklärt dann sehr eloquent, dass es vielmehr eine Form des Kräftemessens unter Männern sei. Und wenn ihm doch ein „Schwanzvergleich“ herausrutscht — entschuldigt er sich sofort. Aber bis zum Ende bleibt es trotz dieser Ausrutscher ein Gerichtssaal, in dem auch das Verlesen eines Tweets umständlich beantragt werden muss.
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Die Mutter ist in der Welt der Rapper immer das Zentrum der Beleidigung. Bushidos Mutter starb bereits im Jahr 2013 an Krebs. Arafats Mutter wiederum erlag während des Prozesses im Herbst 2020 einer Covid-Infektion. Die Verhandlung wurde für mehrere Wochen unterbrochen. Die Beerdigung war ein Großereignis in Berlin. Als Bushido ebenfalls positiv auf Corona getestet wurde, wurde abermals für mehrere Wochen der Hochsicherheitssaal anderweitig genutzt. Der Rapper hatte einen milden Verlauf, aber trägt auch jetzt noch in den Verhandlungen immer eine Maske. Arafat wiederum hat selten eine Schutzmaske auf. Es gibt Tage, da ist er der einzige ohne Mund-Nasen-Schutz im Saal.
Er habe Asthma, hat Arafat mir einmal erzählt, er müsse keine Maske tragen. Er sagte das, als wir zusammen vor dem Saal warteten. Ich wusste das bereits von anderen Journalisten. Ich hatte aus Verlegenheit gefragt, worüber sonst sollte ich mit Berlins bekanntestem Clanchef reden? Nach diesem kurzen Gespräch lächelte er manchmal herüber, von seinem Sitz vorne rechts. Schließlich, auch das ist auffällig, sind fast alle Prozessbeobachter weiblich. Nur der Stern und die FAZ schicken männliche Kollegen. Die stehen dann nach der Verhandlung mit Arafat und den Brüdern im Kreis und rauchen. Frauen stehen da nie. Und dann kam Clubhouse.
Arafats Zwischenrufe: „Das stimmt nicht!“ oder „Quatsch!“
Das ist eine App, die Ende Januar plötzlich dafür sorgte, dass für ein paar Wochen jeden Abend Prominente mit nicht Prominenten in Kontakt kamen. Jeder kann eine virtuelle Diskussion eröffnen und Freunde aufs Podium bitten. Am 3. Februar lud „Arafat 2.0“ — so sein Clubhouse-Name — zum Gespräch. Als ich den virtuellen Raum betrat, war ich auch schon auf dem Podium. Für vielleicht 20 Minuten diskutierten Arafat und ich über seinen Prozess, er bot mir indirekt an, seine Biografie zu schreiben. In dem Moment schrieb mir eine Freundin auf WhatsApp: „Don't do it.“ Zu dem Zeitpunkt hörten 5000 Menschen uns zu. Das Gespräch ist noch immer auf YouTube zu hören.
Es ist seltsam, sich selbst Wochen später wieder dabei zuzuhören, wie man versucht, sich mit einem Angeklagten über dessen Prozess zu unterhalten. Kollegen aus dem Gerichtssaal erzählen später, sie seien auch auf das Podium geladen worden an dem Abend. „Ich bin doch nicht doof“, sagte eine Kollegin einer großen Wochenzeitung. Und ja, vielleicht war es ein Fehler, sich überhaupt auf so ein Gespräch einzulassen. Denn Arafat äußert sich vor Gericht bisher nicht. Das heißt: Bis auf die Zwischenrufe: „Das stimmt nicht!“ oder „Quatsch!“
Auf Clubhouse lenkt Arafat das Gespräch auf zwei Dinge: Zum einen darauf, dass Großclans wie seiner auch Familienmitglieder haben, die diskriminiert werden, nur weil sie den gleichen Nachnamen tragen („Mein Sohn bekommt kein Bankkonto.“) und zum Zweiten: Dass er Aufnahmen habe, die ihn entlasten, die er aber nicht vorspielen darf. Er hat diese Aufnahmen von Gesprächen mit Bushido ohne dessen Zustimmung gemacht. Nun, das sind die Gesetze, möchte man da sagen.
An einem der letzten Verhandlungstage ging es um die Zeugen, die in den kommenden Wochen vorgeladen werden sollen. Richter Mrosk war ungehalten, weil ausgerechnet der Mann, der Bushido an jenem 18. Januar 2018 in Arafats Büro gelockt hatte, nicht mehr in Berlin ist. Veysel K. wurde Mitte März in die Türkei abgeschoben, obwohl er die Vorladung zum Prozess schon in der Post hatte. „Abstrus“, nennt der Richter diesen wirklich unglaublichen Vorgang und bittet um Klärung. Im Zuschauerraum schütteln Menschen den Kopf.
Im Grunde müssten die Gerichtsdiener Eintritt verlangen für diese Show
Im Grunde müssten die Gerichtsdiener Eintritt verlangen für diese Show, die hier regelmäßig montags und mittwochs aufgeführt wird, das nächste Mal am 12. und 14. April. In den ersten Wochen gab es noch Fans von Bushido, die morgens um 6 Uhr Schlange standen. Doch weil die Corona-Regeln immer weiter verschärft wurden, sind wir vielleicht zehn Journalisten die einzigen, deren Aufzeichnungen später von diesem echten Berliner Spektakel erzählen können. Manchmal vergleichen wir draußen vor der Tür unsere Zitate: „60.000 Euro, das ist doch Taxigeld“, sagte Bushido neulich. Oder: „Ich hab noch ein Knax-Konto bei der Sparkasse.“
Es geht viel um Geld und warum um Himmels Willen Bushido über die Jahre rund neun Millionen Euro gezahlt hat, ohne dass Arafat dafür Management-Aufgaben erfüllen musste. Überhaupt steht die Frage im Mittelpunkt, die ich Arafat hätte stellen sollen, als ich bei Clubhouse die Gelegenheit hatte: Wie verdienst du dein Geld? Sie steht im Raum, nachdem wir uns alle um 9 Uhr morgens am Eingang in Moabit anstellen. Neulich stand Arafat in der Schlange weit vor mir und bot mir einen Platz vor ihm an. Ich habe abgelehnt. Ich hatte Bushidos neuesten Song im Ohr, er handelt von Arafat. Der Titel: „Mephisto“.