Amokfahrt am Breitscheidplatz: War der Todesfahrer schuldunfähig? Jetzt beginnt der Prozess!
Gor V. ist des Mordes an einer Lehrerin und des 16-fachen Mordversuchs angeklagt. Er war am 8. Juni 2022 am Berliner Breitscheidplatz in die Menschenmenge gerast.

Es dauert nur Sekunden: Ein silberfarbener Renault Clio rast am Breitscheidplatz auf den Gehweg am Ende des Kudamms, pflügt Ecke Rankestraße durch die Menschenmenge. Die Lehrerin Tanja Hupfeld (51) aus Bad Arolsen (Hessen) stirbt. Ihr Kollege und zwölf Mädchen und Jungen (14-17) werden teilweise lebensgefährlich verletzt, Schüler der Getöteten aus einer 10. Klasse auf Berlin-Besuch.
Gut 200 Meter weiter endet die Amok-Fahrt im Schaufenster der Parfümerie Douglas an der Marburger Straße Ecke Tauentzien. Dort werden noch eine im siebenten Monat Schwangere (32) und zwei Männer (29, 31) verletzt, die sich an einem Imbiss aufhalten. Am Dienstag beginnt vor dem Landgericht der Prozess gegen den mutmaßlichen Todesfahrer Gor V. (29).
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„Mit dem Prozessauftakt kommen die Ereignisse nicht nur bei der Schulgemeinde, sondern auch bei den Menschen in Bad Arolsen und im gesamten Landkreis wieder hoch“, sagt Jürgen van der Horst, Landrat des Landkreises Waldeck-Frankenberg, zu dem Bad Arolsen gehört. „Die schrecklichen Ereignisse haben die Menschen hier schwer erschüttert. Es besteht daher auch weiterhin die Möglichkeit, durch die bestehenden Angebote Unterstützung zu bekommen.“
Mord und 16-facher Mordversuch werden dem Amokfahrer vorgeworfen
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 29-Jährigen unter anderem vollendeten „Heimtückemord“ sowie 16-fachen Mordversuch vor. Der Deutsch-Armenier soll am 8. Juni 2022 mit Absicht in Fußgängergruppen gefahren sein. Er habe auch tödliche Verletzungen für möglich gehalten und verursachen wollen, so der Vorwurf.

Der Beschuldigte ist seit der Tat in einem Krankenhaus des Maßregelvollzugs untergebracht. Ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten legt laut Staatsanwaltschaft seine Schuldunfähigkeit nahe. Die Behörde strebt in einem Sicherungsverfahren an, den Mann in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, sollte sich im Prozess bewahrheiten, dass er zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Es sei sonst zu befürchten, dass er ohne Behandlung weitere gefährliche Taten begehen werde.
Verteidiger und Staatsanwaltschaft halten Gor V. gegenwärtig für schuldunfähig
Für Verteidiger Mark Höfler steht außer Frage, dass sein Mandant am Tattag schuldunfähig war. Er sei schon als junger Mann erkrankt und finde keinen Zugang zu dem tragischen Geschehen an jenem Juni-Tag. „Ihm und seiner Familie ist es aber ein Anliegen zu verdeutlichen, wie leid ihnen dieses schreckliche Ereignis tut“, betonte Höfler.
Im Prozess gehe es nun auch darum, die Opfer möglichst zu schonen. „Es soll ihnen soweit das geht eine Aussage vor Gericht erspart werden“, sagte der Verteidiger. „Das wird voraussichtlich kein streitiges Verfahren“, betonte Höfler. Zu klären seien eher rechtliche Fragen – etwa, ob die Taten überhaupt als Mord zu bewerten seien, wie es die Staatsanwaltschaft getan habe.

Elf Opfer sind bislang laut Gericht auch als Nebenkläger beteiligt. Für den ersten Verhandlungstag hat die 22. Strafkammer jedoch noch keine Zeugen geladen.
142 Menschen meldeten sich, um Hilfsangebote zu bekommen
Neben den Verletzten meldeten sich aber auch Passanten oder Helfer als Betroffene bei den Behörden. Der Zentralen Anlaufstelle sind 142 Betroffene aus acht verschiedenen Bundesländern sowie aus zwei anderen EU-Staaten und den USA bekannt, wie die Senatsjustizverwaltung mitteilte. Dort ist die Stelle angesiedelt, die das Hilfsangebot für Verletzte, Ersthelfende oder Augenzeugen koordiniert.
Die Anlaufstelle war nach dem islamistischen Anschlag vom 19. Dezember 2016 am Breitscheidplatz mit 13 Toten und etwa 70 Verletzten entstanden. Nur wenige Meter von dem Platz, wo der Attentäter damals einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt gesteuert hatte, mussten nun Polizei und Feuerwehr erneut gemeinsam helfen.
Über den Anschlag hatte die Klasse der Bad Arolser Haupt- und Real-Schule gerade gesprochen, als das Auto mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Gruppe zusteuerte und die Menschen mitriss.
Schüler hatten gerade über den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt 2016 gesprochen
Die Schüler aus Hessen haben zwischenzeitlich ihren Abschluss gemacht und die Schule verlassen. Sie, ihre Eltern und die Schule seien aber in einer Chatgruppe weiterhin miteinander vernetzt, teilte eine Sprecherin des Landkreises Waldeck-Frankenberg mit. Um die schrecklichen Ereignisse verarbeiten zu können, habe es in der Schulgemeinde der Kaulbach-Schule viele Gespräche, Austausche, psychologische Betreuung und gemeinsame Gedenk-Möglichkeiten gegeben.