Tatort Volkspark Wilmersdorf: Die Täter spähten ihre Opfer aus und schlugen dann gezielt zu.
Tatort Volkspark Wilmersdorf: Die Täter spähten ihre Opfer aus und schlugen dann gezielt zu. imago

Es ist das Jahr 1992: Ein Kaufhaus-Erpresser, der sich „Dagobert“ nennt, hält die Berliner Polizei zum Narren. Immer wieder entwischt der Mann, der tatsächlich Arno Funke heißt, den Fahndern. Ein spektakulärer Fall beschäftigt die Mordkommission: Mit einem Kopfschuss wurde die damals 50-jährige Karin Rieck in der Wohnung ihres Lebensgefährten in Lichterfelde aufgefunden – bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt. Das Raubkommissariat im West-Berliner Stadtteil Wilmersdorf hatte es in den Tagen mit einer mysteriösen Raubserie zu tun, die Folgen für die Polizeiarbeit der kommenden Jahre bis heute haben würde, nicht nur in Berlin, sondern bundesweit.

Gangster gestanden 50 weitere Raubtaten, doch nur sechs Opfer gingen zur Polizei

Die Fahnder vom Raubkommissariat standen vor einem Rätsel: Sie hatten zwei Straftäter gefasst, die gerade einen Überfall im Volkspark Wilmersdorf gestanden. Aber nicht nur das: Die Gangster gestanden gleich 50 weitere Raubtaten in dem Park, der nicht zufällig zum Tatort wurde. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik war der Park nämlich nicht nur bei Spaziergängern und Erholungssuchenden beliebt, sondern wurde zu einem Cruising-Gebiet für Homosexuelle, insbesondere die sogenannte Klappe an der Ecke Livländische Straße/Am Volkspark. Gerade einmal sechs der Opfer waren zur Polizei gegangen, die Täter fühlten sich ungestört bei ihren Raubzügen, erklärt Polizeihauptkommissarin Anne von Knoblauch dem Berliner KURIER: „Sie überfielen schwule Männer mit dem Hintergrundwissen, dass diese sowieso nicht zur Polizei gehen.“

Die Opfer hatten noch mehr Angst vor der Polizei als davor, ausgeraubt zu werden, der Grund dafür war der berüchtigte Paragraf 175 des Strafgesetzbuches, der „homosexuelle Handlungen“ unter Strafe stellte. Erst 1994 wurde der gestrichen. Doch der damalige Leiter des Raubkommissariates entschied angesichts der Raubserie, dass sofort gehandelt werden musste: „So geht es nicht weiter, wir brauchen das Vertrauen und müssen für alle Menschen da sein.“ Es war die Geburtsstunde einer Stelle bei der Berliner Polizei, die erstmals Ansprechpartner für „gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ bereitstellte.

LSBTI-Ansprechpartnerin Anne von Knoblauch organisiert Benefizgala mit No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa

Anne von Knoblauch ist eine von derzeit zwei LSBTI-Ansprechpersonen der Berliner Polizei.
Jana Lange, Polizei Berlin
Anne von Knoblauch ist eine von derzeit zwei LSBTI-Ansprechpersonen der Berliner Polizei.

Heute, 30 Jahre später, heißt die Abteilung Ansprechpersonen für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI). Anne von Knoblauch ist eine dieser zwei Ansprechpersonen. Ihr Arbeitsalltag ist für den einer Polizistin ungewöhnlich: Gerade hat sie mit der No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa gesprochen. Es ging um die Benefiz-Gala „Gemeinsam bunt“ am 29. Juni in der Berliner Komödie am Kurfürstendamm, die die Polizeihauptkommissarin mit organisiert – gegen Hasskriminalität und für sexuelle Vielfalt.

Inzwischen sind alle Abteilungen der Polizei mit nebenamtlichen LSBTI-Ansprechpersonen ausgestattet, an die sich auch queere Polizeikräfte wenden. Nachwuchskräfte der Polizei durchlaufen Tagesseminare, in denen sie mit einem Trans-Kollegen der Bundespolizei ins Gespräch kommen und ihr Wissen auffrischen können: Wer etwa darf eine Trans-Person durchsuchen? Für Trans- und intergeschlechtliche Personen regelt das Gesetz, dass „bei berechtigtem Interesse […] dem Wunsch, die Durchsuchung einer Person bestimmten Geschlechts zu übertragen, entsprochen werden“ soll.

Die Brutalität steigt: Der Hass kommt auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft

Name und Geschlecht einer Trans-Person können von den amtlichen Personalien abweichen. Das birgt die Gefahr, dass ein transphobes Tatmotiv verschleiert wird. Um derartige Hassdelikte besser zu erkennen, erfasst die Berliner Polizei den Sachverhalt unter Berücksichtigung der vom Opfer genannten Identität selbst dann, wenn eine amtliche Personenstandsänderung noch nicht erfolgt ist.

So wird Hasskriminalität gegen Minderheiten präzise erfasst, wie von Knoblauch ungeschönt resümiert: „Die Brutalität steigt. Wenn wir früher Beleidigungen wie ‚schwule Sau‘, ‚scheiß Transe‘ oder ‚scheiß Lesbe‘ auf dem Tisch hatten, ist es jetzt die gefährliche Körperverletzung oder Ekelhaftes wie Anspucken.“ Selbst in Pandemiezeiten habe man mehr Anzeigen erfasst: Neben Hass-Mails, Beleidigungen in sozialen Netzwerken seien Beleidigungen sogar aus der unmittelbaren Nachbarschaft gekommen – in Zeiten, wo gesellschaftlicher Zusammenhang mehr denn je gefragt ist.