KURIER-Autor Domescu Möller ist in Jena aufgewachsen.
KURIER-Autor Domescu Möller ist in Jena aufgewachsen. Imago/Schöning

Neulich war ich wieder mal für eine Nacht in der Heimat – und das muss ich genauer definieren. Denn geboren wurde ich im Westen, in einer kleinen Stadt bei Hamburg. Doch mit 12 Jahren zog ich um: nach Jena in Thüringen. Dort wurde ich groß, fand Freunde fürs Leben und eben einen Ort, den ich Heimat nenne, obwohl ich ihn nach der Uni wieder verlassen hatte.

So wie ich taten es einige meiner Schulfreunde. Sie gingen nach Berlin, Heidelberg oder sonstwohin und tatsächlich sind viele von ihnen bis heute über ganz Deutschland verstreut. Doch eben nicht alle. Einige kehrten wieder zurück. Zurück nach Jena, zurück nach Thüringen, zurück in den Osten.

Was meine Freunde und ich von der DDR wissen

Meine Freunde und ich wurden in den Jahren 1988 bis 1990 geboren, wir sind keine Wendekinder im klassischen Sinn. Die DDR kennen wir nicht aus dem Kindergarten, sondern nur aus Erzählungen unserer Eltern (oder in meinem Fall: Aus den Erzählungen der Eltern der anderen).

Was wir aber mitbekommen haben, sind die Folgen, die das Ende der DDR und das Überstülpen der Bundesrepublik auf die Menschen im Osten hatte: Massenarbeitslosigkeit, gescheiterte Existenzen, Vorurteile, Neuanfänge.

Der Paradies-Park in Jena.
Der Paradies-Park in Jena. Imago/Christoph Worsch

Während der NSU schon in ganz Deutschland mordete, bekamen wir die Ausläufer der eigentlich in den 1990er Jahren verorteten Baseballschlägerjahre mit. Obwohl wir im vergleichsweise urbanen Jena wohnten, wussten wir, wo die gewaltbereiten Nazis wohnten. Wir wussten, wen und welche Gegenden wir umfahren sollten, dass der Rummel die Kameradschaften auf den umliegenden Dörfern auf den Plan rief, wann das „Fest der Völker“ war und welche Kneipen wir trotz unschlagbarer 1-Euro-Abende lieber mieden.

Und trotzdem ist Jena für meine Freunde und mich Heimat. Für einige so sehr, dass sie zurückkehrten (oder der Stadt gleich ganz treu blieben), um dort dabei zu helfen, etwas aufzubauen, wie beispielsweise bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen, die es sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, Leerstände im Land zu beheben. So soll unter anderem ungenutzten Kirchen oder dem einst als Sommerfrische-Ort beliebten Schwarzatal neues Leben eingehaucht werden.

Immer mehr junge Menschen kehren in den Osten zurück

Das ganze ist übrigens keine Entwicklung, die auf meine Freunde beschränkt ist. In den 2010er Jahren gab es eine große Bewegung der Ostrückkehrer. Junge Menschen, die nach Jahren in anderen Teilen Deutschlands oder gar im Ausland gemerkt haben, dass sie in Berlin, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern etwas vermissen – oder noch etwas fertigzustellen haben.

Sie brauen Bier in Erfurt, eröffneten Hundeschulen in Sachsen oder schreiben wie der Autor Lukas Rietzschel von Görlitz aus Bücher. Dort bildete er mit Gleichgesinnten ein Netzwerk, dass andere Abgewanderte von einer Rückkehr in die alte Heimat überzeugen sollte, um diese gleichzeitig neu zu gestalten, sie mit Demokratie- und Kunstprojekten wieder attraktiver zu machen.

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Denn auch diese Funktion erfüllen die Rückkehrer: Sie überlassen die Plätze, Städte und Landstriche nicht denen, vor denen sie einst weggezogen sind. Und sie sind ein Anker für all jene, die dem Osten dennoch den Rücken gekehrt haben. Ein Anker, der sie noch immer von Heimat sprechen lässt. Danke dafür!

Domescu Möller schreibt jeden Donnerstag im KURIER über die Welt des Fernsehens, in dieser Woche schreibt er erstmals über den Osten.
Anregungen an wirvonhier@berlinerverlag.com.