Das knallrote Erdbeerhäuschen an einer Nebenstraße in der Nähe vom Anger in Alt-Pankow ist nicht zu übersehen.
Das knallrote Erdbeerhäuschen an einer Nebenstraße in der Nähe vom Anger in Alt-Pankow ist nicht zu übersehen. Berliner KURIER/clp

Jetzt stehen sie wieder überall in Berlin - die knallroten Häuschen, die mit etwas Phantasie tatsächlich als Riesen-Erdbeeren durchgehen können. Aus ihnen heraus verkaufen Rentner oder Studis die roten Früchte von einem inzwischen sehr bekannten norddeutschen Unternehmen. Auch ich gönne mir ein 250-Gramm-Schälchen - trotz des überaus stolzen Preises.

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Dann setze ich mich in der Nähe auf eine Bank, beobachte und belausche den Erdbeerhandel. Gar nicht so wenige Passanten halten an und greifen zu, manchmal bildet sich sogar eine kleine Schlange. Der Verkäufer  mit den grauen Haaren beantwortet freundlich jede Frage  potentieller Käufer. Wer seine so verführerisch in der Auslage prangenden Erdbeeren vom Feld geholt hat, weiß er aber nicht, wie er einer Kundin erklärt. Er vermutet, dass es Saisonkräfte aus Osteuropa sind.  

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Mit dem Erdbeerduft in der Nase schweifen meine Gedanken ab, ich erinnere mich an meine Erfahrungen als Erdbeer-Erntehelferin. Lang ist's her. Zu Zeiten als Gymnasien noch Erweiterte Oberschulen hießen, gehörte ein Einsatz auf dem Acker zum Abschluss jeder der höheren Jahrgänge, bevor es in die Sommerferien ging. Zum einen ging es wohl  darum, dass die zukünftigen Abiturienten die Verbindung zur arbeitenden Bevölkerung, also hier speziell zu den Bauern, nicht verlieren sollten. Das war aber wohl nur eine theoeretische Überlegung, praktisch ging es vielmehr darum, in der nahe gelegenen LPG fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen. Und so die begehrten Früchte in die Läden zu bringen. 

Es geht sehr früh zum Ernte-Einsatz in die märkische LPG 

Ein oder zwei Wochen dauerten unsere Ausflüge in die landwirtschaftliche Produktion in jedem Jahr. Ich gebe zu, es war hart. Zumindest am Morgen, wenn uns ein etwas klappriger Omnibus gegen halb sechs (!) am Bahnhof abholte, um mit uns ins märkische Umland zu tuckern. Wir kannten zwar vom Unterricht die sogenannten nullte Stunde, die um sieben begann, aber nun mussten wir uns noch viel früher aus den Federn quälen. Deshalb war es morgens im Bus sehr still. So mancher verpasste die Abfahrt auch. Vielleicht willentlich, vielleicht aus jugendlicher Müdigkeit.      

Wenn wir nach einer guten halben Stunde die riesigen Erdbeerfelder erreichten, schien uns in der Morgenkühle noch unvorstellbar, hier bis nach dem Mittag gebückt zu pflücken und zu pflücken und zu pflücken. Doch je höher die Sonne stieg, desto besser wurde unsere Laune. Schnell war klar, wie es am besten geht. Unter dem Märchenmotto: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. 

Die Streber waren beim Ernteeinsatz die emsigsten Sammler

Meist waren die aus dem Klassenraum bekannten Streber auch die schnellsten Sammler, füllten Korb um Korb, Stiege um Stiege.  Dafür bekamen sie auch die meisten bunten Marken, die am Ende der Schicht in Bares umgewandelt wurden. Andere ließen sich lieber öfter am Feldrain ins Gras fallen. Wenn es richtig heiß wurde, lagen wir alle da und tranken Tee, den uns Frauen aus der LPG-Küche brachten. Eine meiner Freundinnen flirtete mit einem Robur-Fahrer, andere probierten eine Schlacht mit matschigen Beeren. Aber auch nur, wenn  niemand aus der LPG  bei diesen unproduktiven Fisimatenten zusah.   

Jugendliche zu DDR-Zeiten beim Ernteeinsatz in einer LPG - endlich ist Feierabend!
Jugendliche zu DDR-Zeiten beim Ernteeinsatz in einer LPG - endlich ist Feierabend! Werner Schulze/imago

Am Ende der Schicht waren wir müde, aber auch zufrieden

Dann war die Zeit auf den Beeten endlich rum und wir sanken müde, aber auch zufrieden auf die Bänke im Bus. Mit ein bisschen Geld und ein oder zwei Körben Erdbeeren ging es am frühen Nachmittag wieder in die Stadt. Die geschäftstüchtigsten unter uns verkauften ihre Erdbeeren dann gleich am Bahnhof. Und wurden sie reißend los. Natürlich zu einem stolzen Preis. Fast so wie heute an den roten Häuschen.  

Erinnern auch Sie sich an Ernteeinsätze als Schüler oder Studenten? Ich würde mich freuen, wenn Sie mir von Ihren Erfahrungen berichten.

Claudia Pietsch schreibt jede Woche im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt zur Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com