Kolumne „Wir im Netz“

Warum sieht heutzutage nichts mehr cool aus?

Farbenfroh ist out – offiziell. Nutzer sozialer Medien holen sich online trotzdem ihren Kick und beweisen: Wir brauchen wieder mehr Farben!

Author - Jana Hollstein
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Beispiele für „Utopian Scholastic“.
Beispiele für „Utopian Scholastic“.Ecosia

Haben Sie sich schon mal umgesehen und gedacht „Irgendwie sieht heutzutage alles gleich aus“? Da sind Sie nicht der Einzige. Unsere Computer und Handys kommen alle in den gleichen „Farben“ daher (schwarz, weiß, manchmal grau oder silber), die größten Mode-Ketten verkaufen hauptsächlich minimalistisch daherkommende Klamotten mit dem vereinzelten Motiv, und wenn wir einen Einblick in die Häuser der Reichen und Schönen bekommen, sehen die mehr nach der Rezeption einer Arztpraxis aus als nach einem belebten Raum.

Nostalgie sorgt auf Social Media für Klicks

Wenn man etwa an die 80er, 90er oder sogar noch die frühen 2000er denkt, hat man sofort einen Look vor Augen – Jahrzehnte sahen nach etwas aus. Und heute? Hm. Wenn man es positiv sehen will, könnte man es Minimalismus nennen. Aber glauben Sie mir - Sie und ich sind nicht die Einzigen, denen bei den ganzen Depri-Designs etwas fehlt. Auf Social Media hat sich eine ganze Influencer-Branche um Nostalgie gebildet, die hauptsächlich Content macht, der fragt „Wisst ihr noch, wie das früher aussah?“.

Da finden sich dann vollsaturierte und knallige und besonders warme und intensive Farben in Stilen, die es zum Beispiel in den 80ern und 90ern gab. Ob „Whimsigoth“ (wie die Häuser bei „Charmed“ oder „Buffy“ aussahen) oder „Utopian Scholastic“ (wie auf den Covern von Schulbüchern in den 80er und 90er Jahren): Die Looks sind vielleicht nicht trendy, aber sie strotzen nur so vor Charakter und Farben. Und das sorgt für Klicks. Verständlich – ich selbst merke, wie ich jedes Mal innerlich ein bisschen aufatme, wenn ich über diesen Content stolpere.

Die Psychologie hinter der Farb-Sucht

Man denkt immer, dass ein steriler Raum mit neutralen Tönen die Psyche beruhigen soll. Tatsächlich erzählen viele Verfechter des Minimalismus das so. So ganz richtig ist das aber nicht. So ist es für Babys zum Beispiel überhaupt nicht gut, wenn man ihnen Spielzeuge in neutralen Tönen gibt, nur weil man sie selbst schöner findet: Primärfarben, knallige Farben und Farben mit viel Kontrast sind wichtig für ihre geistige Entwicklung.

Aber auch das erwachsene Gehirn braucht Farben. Manche Studien legen nahe, dass eine farblose, kontrastarme Umgebung dem Gehirn nicht genug Stimulation bietet, was uns wiederum nervös macht, weil wir versuchen, diese dann auf andere Weise zu holen.

Wer sich mit Farbpsychologie beschäftigt, weiß auch, dass Farben alles Mögliche beeinflussen können. Laut Psychology Today: Stimmung, Energie, den Schlafzyklus, Blutdruck, Sexualität und sogar unser Erinnerungsvermögen. Das bedeutet natürlich auch, dass die „falsche“ Farbe viel Schaden ausrichten kann - aber nicht, dass die „richtige“ „Farbe“ automatisch Weiß, Grau oder Schwarz ist.

Jana Hollstein schreibt immer dienstags für den KURIER über die große weite Welt des Internets. Mails an wirvonhier@berlinerverlag.com.