Manchmal müssen Kinder oder Erwachsene streiten, um sich danach vielleicht sogar besser zu verstehen und einander wieder anzunähern. 
Manchmal müssen Kinder oder Erwachsene streiten, um sich danach vielleicht sogar besser zu verstehen und einander wieder anzunähern.  Museum für Kommunikation/Kay Herschelmann

"Widersprich nicht, bevor Du nicht widerdacht hast!" Das schrieb der dänische Schriftsteller Martin Andersen Nexö, der bis zu seinem Tod 1954 in der DDR lebte. Dieses Zitat fällt mir gelegentlich ein, wenn ich derzeit sehe oder höre, wie sich Menschen streiten. In Familien, unter Freunden,  in der Politik, in TV-Talkshows und sozialen Netzwerken. 

Zuhören, sich auf den anderen einlassen, versuchen seine Meinung zu verstehen. Oder diese mit Argumenten zu widerlegen. Das sind augenscheinlich altmodische Tugenden, die sich rar machen. Stattdessen wird einfach so drauflosgeredet,  unnachgiebig auf dem eigenen Standpunkt beharrt oder gar beleidigt, was das Zeug hält. Ungerecht,  intolerant, maßlos. Können wir nicht mehr trefflich streiten?  Uns auf etwas einigen? 

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Diese Fragen hat sich auch das Berliner Museum für Kommunikation gestellt. Herausgekommen ist die neue Ausstellung „Streit. Eine Annäherung“. Im Internet lese ich nach, was es dort zu sehen und zu erleben gibt.  Zunächst einmal gehen die Ausstellungsmacher davon aus, dass Streit wichtig ist. Er gibt uns die Chance, einander zu verstehen, auszutauschen oder anzunähern. Er ist wichtig für die demokratische Meinungsbildung.  

Erregte Erörterungen und hitzige Wortwechsel

Die Ausstellung zeigt 150 Objekte, Fotografie, Medien und künstlerische Positionen. Erklärt wird, was sich hinter den Begriffen Streit, Debatte oder Konflikt verbirgt. Der Duden versteht unter Streit ein heftiges Auseinandersetzen, Zanken in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln oder sogar in Handgreiflichkeiten. 

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In der Schau sind die Besucherinnen und Besucher dann zum Mitmachen eingeladen. Sie wählen eine persönliche Streit-Tier-Karte aus. Fünf Möglichkeiten gibt es. Etwa die eines Fuchses, der strategisch und opportunistisch streitet, aber seine Abneigung gegen andere Meinungen schlecht verbergen kann. Oder aber man hält sich für eine Eule, die Lösungsvorschläge anbietet und oft Kompromisse eingeht, manchmal sogar zum eigenen Nachteil. Auch möglich, sich als Schildkröte zu betrachten, die ruhig und bedacht eine gute Beobachterin ist. Sie schafft es sogar, sich aus einem Streit zurückzuziehen.

Gar nicht so unwichtig zu wissen: Streitvermeidung kann vom Gegenüber als Desinteresse gedeutet werden. Ein freundschaftlich gemeintes  "Lass uns nicht streiten!" kann also auch missverstanden werden.  

In der Ausstellung ist Mitstreiten gewollt 

Mit den Karten können sich Besucher während des Rundgangs durch die Ausstellung in verschiedene Streit-Szenarien versetzen und das eigene Streitverhalten reflektieren. Dabei ist Mitstreiten gewollt: Sogenannte Steile Thesen fordern zum Reflektieren und Diskutieren auf. In den vier Themenräumen Kunst, Liebe, Macht und Geld gibt es Streit-Geschichten über Geschmack, Anerkennung, Wiedergutmachung oder Erwartungen – als Teil einer größeren Debatte oder einfach nur auf persönlicher Ebene.

Und man kann auch lernen, richtig und konstruktiv zu streiten. Das geht laut Ausstellung in etwa so: Zuhören,  versuchen, zu verstehen,  beim Thema bleiben, Gemeinsamkeiten finden, das Gegenüber nicht belehren und auch mal die Perspektive wechseln. Theoretisch für viele wohl gar nicht so schwer. 

In der Ausstellung kann der Besucher bestimmen, welches Streittier er ist. Etwa ein Fuchs, der strategisch und opportunistisch streitet, aber seine Abneigung gegen andere Meinungen schlecht verbergen kann. Oder aber eine Eule,&nbsp; die Lösungsvorschläge anbietet und oft Kompromisse eingeht, manchmal sogar zum eigenen Nachteil.&nbsp;
In der Ausstellung kann der Besucher bestimmen, welches Streittier er ist. Etwa ein Fuchs, der strategisch und opportunistisch streitet, aber seine Abneigung gegen andere Meinungen schlecht verbergen kann. Oder aber eine Eule,  die Lösungsvorschläge anbietet und oft Kompromisse eingeht, manchmal sogar zum eigenen Nachteil.  Museum für Kommunikation/Kay Herschelmann

Ich bin neugierig geworden und überlege, welchen Streithammel ich am besten frage, ob er oder sie mit mir die Ausstellung im Museum für Kommunikation besucht. Um danach hoffentlich kultiviert zu streiten. Noch bis zum  27. August nächsten Jahres ist die Schau zu sehen. 

(Museum für Kommunikation Berlin Leipziger Straße 16, 10117 Berlin, Eintritt 6 Euro, ermäßigt 3 Euro, Berliner Museumssonntag: Freier Eintritt an jedem ersten Sonntag im Monat!)

Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com