Kolumne „Wir im Osten“

Steckt die ARD den Defa-Film „Die Geschichte vom kleinen Muck“ jetzt in den Giftschrank?

Der TV-Anstalt scheint der Märchen-Klassiker nicht mehr gesellschaftlich korrekt zu sein. Unser Autor sieht darin Parallelen zur DDR-Zensur.

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Thomas Schmidt spielte 1953 die Hauptrolle im Defa-Film „Die Geschichte vom kleinen Muck “. Dafür wurde ihm das Gesicht dunkel eingefärbt. Das sei „Blackfacing“ und damit rassistisch, heißt es heute nun. 
Thomas Schmidt spielte 1953 die Hauptrolle im Defa-Film „Die Geschichte vom kleinen Muck “. Dafür wurde ihm das Gesicht dunkel eingefärbt. Das sei „Blackfacing“ und damit rassistisch, heißt es heute nun. DEFA-Stiftung/Eduard Neufeld

Beginnen möchte ich heute mit einem Hinweis: Liebe Leser, die folgenden Zeilen könnten auf einige von Ihnen verstörend oder diskriminierend wirken, weil sie möglicherweise nicht der heutigen Denkweise entsprechen. Dennoch schreibe ich sie, weil ich gerade vor Wut koche. Und diese Wut muss raus!

Es geht um Hinweise, die die TV-Anstalten und Radiosender vor alten Shows, Filmen und Hörspielen immer mehr ausstrahlen. Nur weil die Inhalte möglicherweise nicht mehr in die jetzige Zeit passen könnten. Eine Verfahrensweise, die vergangenes Jahr mit der Winnetou-Debatte und der Diskussion um das Wort Indianer begann und die nun immer mehr merkwürdige Blüten treibt, wie ich gerade in einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa) lesen musste.

Demnach hat die ARD nun schon seit längerem eine Arbeitsgruppe, die nichts Besseres zu tun hat, die Archive nach Filmen zu durchforsten und zu untersuchen, ob deren „Szenen, Dialoge oder bildliche Darstellungen aus heutiger Sicht diskriminierend wirken können und ob der Anschein entstehen könnte, der Film mache sich diese diskriminierende Haltung zu eigen“.

Nun, man könne die Filme, die ein Dokument der Zeitgeschichte sind, nicht ändern, heißt es da seitens der ARD. Aber: „Allerdings kann die Redaktion in Absprache mit der Programmplanung zu dem Schluss kommen, eine Sendung aus dem Archiv nicht erneut auszustrahlen und/oder für weitere Wiederholungen zu sperren.“

Weil man Gesichter schwarz färbte: Ist der Defa-Film vom kleinen Muck wirklich rassistisch?

Oder man versieht den Film mit einem Hinweis. Als Beispiele dafür nannte die ARD der dpa die Defa-Märchen-Klassiker  „Zwerg Nase“ (1978) und „Die Geschichte vom kleinen Muck“ (1953). Dort  gab es „Blackfacing“. Eine Darstellungsart, die bei den „Minstrel Shows“ in den USA im 18. und 19. Jahrhundert angewendet wurde und bei der man weiße Schauspieler schwarz schminkte, die so auf der Bühne die Lebensweise der Afroamerikaner karikierten. Ja, das war und ist rassistisch.

Szene aus „Spur der Steine“ mit Manfred Krug: Weil die Handlung des Defa-Films von 1966 nicht in die damals herrschende Denkweise der DDR passte, wurde der Streifen wegen antisozialistischer Tendenzen verboten.
Szene aus „Spur der Steine“ mit Manfred Krug: Weil die Handlung des Defa-Films von 1966 nicht in die damals herrschende Denkweise der DDR passte, wurde der Streifen wegen antisozialistischer Tendenzen verboten.DEFA-Stiftung/Klaus D. Schwarz

Nun den Defa-Märchenfilm vom kleinen Muck damit zu vergleichen, kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Haben die ARD-Verantwortlichen etwa den Verstand verloren? Wollen sie den kleinen Muck sogar im Giftschrank verschwinden lassen, nur weil damals der Regisseur Wolfgang Staudte seinem weißhäutigen Kinderdarsteller das Gesicht dunkel anmalen ließ, weil die Handlung es einfach so erforderte? Was ist daran in aller Welt rassistisch gewesen? Alles kann man ja der DDR nachsagen. Aber rassistisch war der SED-Staat keinesfalls.

Was da die ARD und auch private Sender veranstalten, die sogar bei fragwürdigen Filmen bedenkenswerte Passagen herausschneiden wollen – all das erinnert mich an die Zensur, die die DDR-Kulturfunktionäre eifrig betrieben. Die Bücher, Lieder und Filme vor ihrer Veröffentlichung genau überprüften, ob sie dem sozialistischen Zeitgeist und der Meinung der SED-Herrschenden entsprachen. Wenn nicht, wurden diese verboten und man ließ so manche Defa-Klassiker wie „Spur der Steine“ in den Giftschränken verschwinden.

Soll das heute wieder so passieren? Ich frage mich ernsthaft, für wie blöd uns die TV- und Radiomacher halten. Der Zuschauer und Zuhörer ist sehr wohl in der Lage, alte Sendungen einzuordnen. Da bedarf es keines oberlehrerhaften Hinweises oder Überlegungen, bestimmte Filme und Beiträge nicht mehr zu senden. Was bei den Anstalten passiert, zeigt mir, dass man aus der Geschichte nichts gelernt hat.

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com