Schöne DDR: Die Helden meiner Kindheit kommen aus Mahlsdorf! DARUM sind Ost-Kinderbücher die besten

Der kleine Häwelmann, Jochen, der nicht aufräumt, Peter, der sich nicht wäscht und der Puppendoktor - sie alle stammen aus der Feder einer besonderen Frau. In Marzahn gibt es noch bis zum 24. September eine Ausstellung, die Erinnerungen weckt. 

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Kinderbücher, illustriert von Ingeborg Meyer-Rey. Einige der Klassiker der DDR Kinderliteratur wurden neu aufgelegt, viele waren auch im Ausland erfolgreich.
Kinderbücher, illustriert von Ingeborg Meyer-Rey. Einige der Klassiker der DDR Kinderliteratur wurden neu aufgelegt, viele waren auch im Ausland erfolgreich.Foto: Stefanie Hildebrandt

Die großen Ferien sind bei uns immer Lesezeit, Vorlesezeit. Ins Urlaubsgepäck kam in diesem Jahr einer der schönsten Kinderbuch-Klassiker der DDR. Wir hatten ein Haus am Bodden auf Rügen gemietet und lasen Benno Pludras „Lütt Matten und die weiße Muschel.“

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Kramen Sie mal in Ihrem Gedächtnis, na kommt er Ihnen auch noch bekannt vor, der kleine Matten auf dem Buchcover, wilde Strubbelhaare, die Hosenbeine hochgekrempelt. Noch heute berührt es Kinder und auch Erwachsene (mich jedenfalls), wie der Kleine mit seiner selbst gebauten, wohl wirklich mickrigen Reuse Fische fangen will und es klappt einfach nicht. Die Geschichten und Bilder unserer Kindheit verblassen zwar manchmal etwas, ganz weg sind sie aber nie.

DDR-Kinderbücher sind längst Klassiker

Nach Lütt Matten begegneten mir in diesem Sommer noch eine ganze Reihe weiterer Ost-Klassiker für Kinder. Auf der Suche nach eine Geschenk stolperte ich im Buchladen über Neuauflagen von Büchern, die schon meine Phantasie als Kind beflügelten. „Brüderchen Vierbein“ von Eva Strittmatter, „Beim Puppendoktor“, „Der kleine Häwelmann“, der strohblonde„Heiner und seine Hähnchen“. Allesamt sind die Bücher von einer Frau illustriert: Ingeborg Meyer-Rey - sie gab den Helden meiner Kindheit ein Gesicht. Beim googeln stoße ich wieder auf sie, diesmal ganz in der Nähe.

Das Bezirksmuseum Marzahn widmet ihr noch bis Ende September eine kleine feine Ausstellung, die ich fast verpasst hätte. Doch beim Besuch sind sie alle wieder da. Das neugierige Entlein, der Märchenschimmel, Jochen, der nicht aufräumen wollte und der Peter, der sich nicht waschen wollte.

Ingeborg Meyer-Rey bei der Arbeit, aufgenommen in den 70er Jahren. 
Ingeborg Meyer-Rey bei der Arbeit, aufgenommen in den 70er Jahren. G. Meyer, aufgenommen in den 1970er Jahren / Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf

Meyer-Reys Stil ist unverwechselbar. Feine Pinselstriche, intensive Farben, liebevolle Details, wohltuende Einfachheit und großes zeichnerisches Können machen ihre Illustrationen so besonders, dass sie ganze Generationen wieder erkennen. In jedem Pinselstrich, in jeder Fläche ist ihre große Liebe zu Kindern sichtbar.

Dass die Erschafferin so schöner Werke in Mahlsdorf lebte, wusste ich bisher nicht. Im Krieg in Charlottenburg ausgebombt zog die Familie ins Sommerhaus am Rande der Stadt. Hier schuf sich Ingeborg Meyer-Rey im Laufe der Jahre ein Atelier im Garten. Anfangs verkaufte sie ihre Aquarelle im Westsektor an die Amerikaner, und entdeckte in der jungen DDR schnell ihre Liebe zur Illustration. Seit Anfang der 1950 malte und zeichnete sie für den Kinderbuchverlag Berlin. Die Geschichten von Pludra, Eva Stritmatter oder Fred Rodrian begleiten ihre Figuren kongenial.

Meyer-Rey illustrierte 100 Bücher für den Kinderbuch Verlag Berlin

Immer munter, ein bisschen frech, selbst die Räuber irgendwie liebenswert. Fast 100 Bücher hat Ingeborg Meyer-Rey illustriert und darüber hinaus noch viele weitere Kunstwerke geschaffen. Fast alle mit einem Bezug zu Kindern. Ihre berühmteste Schöpfung ist wohl der Bummi-Bär.

In der Ausstellung sind Skizzen und Entwürfe der Illustratorin zu sehen, allesamt voller Können und Hingabe.
In der Ausstellung sind Skizzen und Entwürfe der Illustratorin zu sehen, allesamt voller Können und Hingabe.Hildebrandt

Dass sie ihr junges Publikum so unverkennbar ernst nahm und mit liebevollem Blick seine Perspektive einzunehmen vermochte, ist noch heute wohltuend. Da ist keine Spur von übergroßen Augen, quietschniedlichen Figuren, billiger Anbiederung und Geschmacklosigkeit, wie sie heute vielerorts auf Produkten für Kinder zu finden ist.

Mehr Einfachheit und weniger Klimbim wagen

Es ist rührend zu sehen, wie sich jemand uneingeschränkt auf die kindliche Welt einlässt und sich Mühe gibt, mit tiefem Verständnis und grenzenloser Zuneigung für das Publikum Zeitloses zu gestalten. Einfach, wahrhaftig und empfindsam die Dinge zu betrachten: davon wünsche ich mir manchmal mehr in unserer Zeit. Gehen Sie doch mal im Bezirksmuseum Marzahn vorbei, der Eintritt ist kostenlos, die Erinnerungen, die vielleicht wach werden, sind unbezahlbar. 

Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf, Haus 2: Alt-Marzahn 55, 12685 Berlin, Mo - Fr 10 - 18 Uhr, Wochenfeiertage geschlossen, der Eintritt ist frei

Stefanie Hildebrandt schreibt regelmäßig im KURIER über Berlins Kieze
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com

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