Ost-Fest mit Fahnenappell: Darf man die DDR überhaupt noch feiern?
In Thüringen wurde eine Familienveranstaltung mit „Fahnenappell“ und „Pionier-Basteln“ angekündigt. Das sorgte für große Aufregung.

„Ich wünsche für meine Urenkel, dass sie aufwachsen ohne Fahnenapell, ohne Staatsbürgerkunde und dass keine Blauhemden mit Fackeln an den hohen Leuten vorübergehen.“ Dieser Satz stammt von der Schauspielerin Steffie Spira (1908-1995). Sie sagte ihn auf der legendären großen Demo auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989. Ihr Satz war eine klare Abrechnung mit dem SED-Regime und den Herrschaftsverhältnissen in der DDR, der diese Kernbotschaft enthielt: Nie wieder!
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Steffie Spira sprach mir damals bei der Demo sehr aus dem Herzen. Ihre mahnenden Worte haben sich fest in meinem Gedächtnis eingebrannt. Und so erinnerte ich mich gerade jetzt wieder an den Fahnenappell- und Blauhemdensatz der Schauspielerin, als ich von einem Familienfest in Thüringen las, das vor kurzem stattfand und für viel Aufsehen und Diskussionen sorgte.
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In Friedrichsroda hatte ein Veranstalter „Das große DDR-Fest“ angekündigt – unter der Überschrift „Seid bereit“, dem Gruß der DDR-Pionierorganisation. Dazu sollte es laut Programm „Basteln mit Pionieren“ und einen „Fahnenappell“ geben. Es gab heftige Reaktionen auf die Ankündigung.
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DDR-Fest mit Fahnenappell in Thüringen: Die Ankündigung sorgte für große Aufregung

Der Veranstalter berichtete dem MDR von Drohungen. Letztendlich strich er den „Fahnenappell“ aus dem Programm, benannte das „DDR-Fest“ in „Ostalgie – Ostrock“ um und schrieb auf der neuen Ankündigung, man wolle mit „dieser Veranstaltung nicht die negative Seite des DDR-Regimes verherrlichen“. Es ginge viel mehr darum, an die schönen Seiten, die jeder privat hatte, zu erinnern.
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Solche Feste sind und waren im Osten keine Seltenheit. Und ich frage mich: Darf man überhaupt noch heutzutage die DDR feiern? Mit Fahnenappellen und Pioniermaskerade, die als Symbole für einen Staat stehen, der mit Mauer, Mauertoten und Bespitzelung des eigenen Volkes nicht nur für mich eine Diktatur war.
Ich kann mich noch gut an die vielen DDR-Partys in den 90er-Jahren erinnern, wo man begeistert in FDJ-Hemden oder mit Pioniertüchern um den Hals feierte, manche sich in NVA-Uniformen zeigten. Oft trat als Höhepunkt noch ein Honecker-Double auf. Diese Veranstaltungen sahen viele als Parodie an.

Sind DDR-Feste wirklich nur eine Parodie auf das SED-Regime?
Sich an die DDR zu erinnern, an sein dortiges Leben, an die Stars, ans Essen: Ja, warum soll man das nicht mit Ostprodukten, Ost-Musik oder Trabi-Paraden auch feiern? Im Westen halten die Menschen ihre Vergangenheit in der alten Bundesrepublik genauso hoch, die ebenfalls nicht glänzend war, wie man weiß. Aber ein DDR-Fest mit einem „Fahnenappell“ anzukündigen, bei denen einst Schüler zu feierlichen Propaganda-Anlässen auf den DDR-Schulhöfen strammstehen mussten – das hat nach meiner Ansicht nichts mehr mit lustiger Erinnerungskultur gemeinsam, sondern ist einfach unüberlegt und geschmacklos.
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Da frage ich mich doch ernsthaft: Warum sind so viele DDR-Bürger in den Westen geflohen oder haben 1989 gejubelt, als die Mauer fiel, wenn nun die Ostdeutschen wieder die Symbole und „Bräuche“ eines Staates feiern, den einst die Mehrheit von ihnen nicht mehr haben wollte?
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Hat man schon so schnell die dunklen Seiten des SED-Regimes vergessen? Etwa, dass Menschen ins Gefängnis kamen, weil sie offen ihre Meinung sagten. Oder, dass vor 70 Jahren am 17. Juni 1953 der Volksaufstand in der DDR mit Hilfe von sowjetischen Panzern blutig niedergeschlagen wurde. Ist das alles schon wirklich vergessen?
„Nie wieder“ hieß es bei der Alex-Demo 1989. Ich bin jedenfalls froh, dass mein Sohn, der gerade sein Abi macht, ohne Fahnenappell und ohne Zwang, ein Pionierhalstuch und FDJ-Hemd tragen zu müssen, aufwachsen konnte.
Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com