Angela Merkel: Der Osten kann froh sein, dass es sie als Kanzlerin gab
31 Jahre Wiedervereinigung, 16 Jahre davon regierte sie: Ihre Amtszeit war gut für die ostdeutsche Seele, meint unser Autor.

„Merkel muss weg!“ Sogar am Ende ihrer Kanzlerschaft sind diese lauten Rufe noch zu vernehmen, vor allem aus dem Osten des Landes. Ob Flüchtlings- oder Corona-Krise, oder sogar Fehler in der Gesundheitspolitik – an allem, was in diesem Land schief läuft, hat einzig Angela Merkel schuld. Dabei müssten gerade wir Ostdeutsche froh darüber sein, dass wir diese Frau als Kanzlerin hatten.
Ich bin kein CDU- oder Merkel-Anhänger, sehe auch ihre Regierungszeit sehr kritisch. Aber ich habe nicht vergessen, wie vor allem im Osten des Landes begeistert „Angie, Angie“ gerufen wurde und wie gut es der ostdeutschen Seele tat, als Merkel 2005 zum ersten Mal ihr Kanzleramt antrat.
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Denn ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie die Ostdeutschen vor allem in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands behandelt wurden. Ihre Lebensleistung findet kaum Anerkennung. Das Wort „Jammer-Ossi“ macht bei den „Besser-Wessis“ die Runde. Der Ostdeutsche gilt als arbeitsscheu. Ich fand es damals wie heute gut, dass nicht nur eine Frau, sondern auch noch eine Ostdeutsche Kanzlerin wurde, um zu zeigen, dass Menschen mit DDR-Biografie durchaus im Stande sind, Großes für die Gesellschaft zu leisten.
Das hat Merkel in ihrem Amt mit großem Selbstbewusstsein bewiesen. Keiner kann behaupten, dass sie als Ostdeutsche das Land schlechter regiert hätte als ein Politiker aus dem Westen. Nicht umsonst ist sie viermal Regierungschefin geworden.
Ich habe Merkel für ihre Menschlichkeit bewundert
Ich habe Merkel für ihre Menschlichkeit bewundert, als es um den Flüchtlingszustrom nach Europa ging. Sicher hat sie dabei Fehler gemacht, die Frage der Sicherheit außer Acht gelassen oder, ob die Kommunen überhaupt in der Lage sind, Zehntausende von Menschen aufzunehmen. Für ihren Satz „Wir schaffen das“ erntete sie im Ausland Lob, wurde dafür unter anderem mit dem Ehrendoktortitel der US-Elite-Uni Harvard ausgezeichnet.

Im eigenen Land wurde Merkel dafür beschimpft. Dabei hatten so manche im Osten wie im Westen bei ihren öffentlichen Merkel-muss-weg-Rufen vergessen, dass die Tausende von DDR-Bürgern, die im Sommer 1989 in die Bundesrepublik flohen, dies auch nicht nur aus politischen Gründen taten und dennoch Aufnahme im Westen fanden.

Voller Bewunderung schaut man im Ausland auf die Deutschen und ihre Kanzlerin, wie sie sich im Spiel der Mächtigen behauptete, wie sie sich trotz Anfeindungen gegen einen trotzigen US-Präsidenten Trump oder den russischen Machthaber Putin durchsetzte. Das US-Magazin „Times“ kürte Merkel nicht umsonst auf dem Titel zur „Person des Jahres“, nannte sie respektvoll „Frau Europa“.

Natürlich muss man nicht mit allem, was in ihrer Kanzlerschaft passierte, einverstanden sein. Ich finde dennoch, dass wir im Osten stolz darauf sein sollten, dass von den 31 Jahren, in denen Deutschland wiedervereint ist, 16 Jahre lang von einer Ostdeutschen regiert wurde.
Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
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