Offener Brief an Ganoven: „Werte Enkeltrickbetrüger & Konsorten ...“
KURIER-Autorin Claudia Pietsch wurde Zeugin eines Betrugsversuchs und rät den Ganoven: umschulen!

Werte Enkeltrickbetrüger & Konsorten,
diesen Brief hätte ich lieber nicht schreiben wollen. Doch die Ereignisse lassen mir keine Wahl. Ich muss Ihnen einfach mitteilen, was ich von Ihrem Geschäft halte. Schon oft hat der Berliner KURIER über Sie berichtet, aber nun wurde ich selbst Zeugin Ihres Geschäftsgebarens. Und das hat mich auf eine Idee gebracht.
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Es traf eine ältere gebildete Dame, die mitten im Leben steht. Hätte man ihr vor der Tat von einer solchen Schurkerei erzählt, hätte sie ganz sicher gesagt: „Ich, pfff, ich falle doch nicht auf solche Betrüger rein.“ Das sagen viele, bevor sie ein Übergriff ereilt, den die Polizei „Enkeltrick“ nennt und vor dem sie seit Jahren warnt. Und der beginnt immer mit einem Schockanruf.
Die Frauenstimme schluchzt: „Hilf mir, bitte!“
Es ereignet sich an einem Herbsttag in Berlin: Bei der Frau, von der hier die Rede ist, klingelt das Handy. Am anderen Ende eine schluchzende Frauenstimme: „Hilf mir, bitte!“ Die Frau stutzt, geht dann aber davon aus, dass am Telefon ihre Tochter ist, nennt sie beim Namen, bittet sie deutlicher zu sprechen. Doch plötzlich ist ein Mann am anderen Ende der Leitung, gibt an, Polizist zu sein. Mit wohl modulierter Stimme teilt er mit, es sei etwas Furchtbares geschehen. Die Frau solle sich erstmal setzen. Wenige Momente später berichtet er mit schaurigem Unterton, dass die Tochter gerade in einer brandenburgischen Stadt mit ihrem Auto einen Radfahrer totgefahren hat.
Die Tochter sei nun in Gewahrsam der Polizei. Doch er, der Polizist, könne helfen. Wolle die Mutter der völlig Verzweifelten helfen, müsse sie eine Kaution besorgen. Geld, viel Geld, 40.000 Euro! Ansonsten komme die Tochter ins Gefängnis, droht der Mann. Und auf keinen Fall solle die Frau jemandem von diesem Anruf erzählen, sagt er weiter mit beschwörender Stimme. Das Blatt könne sich nur noch zum Guten wenden, wenn sie über das Geschehene schweige und das Geld schnellstens herbeischaffe, fordert er. Am besten sofort, ein Bote werde es dann rasch abholen. Ansonsten könne er für nichts garantieren. Im Übrigen sei die Tochter bereits kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
Der Nachbar ruft die Polizei
Als die entsetzte Frau darum bittet, erneut mit ihrer Tochter sprechen zu dürfen, willigt der Polizist nach einigem Überlegen ein. Dann hört die Mutter am Telefon die weibliche Stimme verzweifelt und schwer verständlich wieder jammern: „Hilf mir!“ In diesem Augenblick ist es endgültig um die Mutter geschehen, sie ist bereit, alles, aber auch ALLES zu tun, um ihr Kind zu unterstützen und das Geld zu besorgen.
Zweifel an dem Unfall ihrer Tochter und den Folgen hat sie nun nicht mehr. Aber weil sie so nervös ist, weiht sie entgegen der barschen Ansage des Anrufers einen Nachbarn ein. Der durchschaut die Sache bald und ruft die Polizei. Ein Anruf bei der Tochter bestätigt schnell, dass diese quietschfidel ist und an diesem Tag gar nicht mit dem Auto unterwegs war.
Damit könnte die Geschichte für Sie, werte Enkeltrickbetrüger, auch zu Ende sein. Hat nicht geklappt, wird eben ein neuer Versuch gestartet. Doch was sich Ihrer Vorstellung wahrscheinlich entzieht, ist, wie schlecht sich eine ältere Dame oder ein betagter Herr nach einem ihrer Versuche oder gar einer erfolgreichen derartigen Betrügerei fühlt. Zorn, Angst und das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Das quält lange. Auch Ihnen dürfte das nicht egal sein, sofern Sie nicht völlig herzlos sind, wie ich zu hoffen wage.
Werte Enkeltrickbetrüger, schulen Sie um!
Deshalb meine Idee: Schulen Sie um, ergreifen Sie eine Tätigkeit, in der Ihre Fähigkeiten besser zur Geltung kommen – ohne Angst vor der Polizei. Sie sind gewandt und überzeugend am Telefon: Bewerben Sie sich in einem Callcenter. Sie können hervorragend mit älteren Menschen: In Seniorenresidenzen wird immer gutes Personal gesucht. Es macht Ihnen keine Mühe, schnell an jedem beliebigen Ort in der Stadt zu sein, um etwas abzuholen: Alle Botendienste werden Sie mit Kusshand nehmen! Und dann, das verspreche ich Ihnen, müssen Sie nie wieder ein schlechtes Gewissen haben.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com
Tipps der Polizei: So können Sie sich gegen Enkeltrick-Betrüger schützten
- Seien Sie misstrauisch, wenn sich Anrufer am Telefon nicht selber mit Namen melden. Raten Sie nicht, wer anruft, sondern fordern Sie Anrufer dazu auf, ihren Namen selbst zu nennen.
- Seien Sie misstrauisch, wenn sich Personen am Telefon als Verwandte oder Bekannte ausgeben, die Sie als solche nicht erkennen. Erfragen Sie beim Anrufer Dinge, die nur der richtige Verwandte/Bekannte wissen kann. Geben Sie keine Details zu Ihren familiären und finanziellen Verhältnissen preis.
- Lassen Sie sich nicht drängen und unter Druck setzen.
- Nehmen Sie sich Zeit, um die Angaben des Anrufers zu überprüfen. Rufen Sie die jeweilige Person unter der Ihnen lange bekannten Nummer an.
- Wenn ein Anrufer Geld oder andere Wertsachen von Ihnen fordert: Besprechen Sie dies mit Angehörigen oder anderen Ihnen nahestehende Personen.
- Übergeben Sie niemals Geld oder Wertsachen wie Schmuck an unbekannte Personen. Kommt Ihnen ein Anruf verdächtig vor, informieren Sie unverzüglich die Polizei unter der Nummer 110.
- Sind Sie Opfer eines Enkeltricks geworden, zeigen Sie die Tat unbedingt bei der Polizei an. Dies kann der Polizei helfen, Zusammenhänge zu erkennen, andere Personen entsprechend zu sensibilisieren und die Täter zu überführen.
- Lassen Sie Ihren Vornamen im Telefonbuch abkürzen (aus Herta Schmidt wird beispielsweise H. Schmidt). So können die Täter Sie gar nicht mehr ausfindig machen.
- Bewahren Sie Ihre Wertsachen, z. B. höhere Geldbeträge und andere Wertgegenstände nicht zu Hause auf, sondern auf der Bank oder im Bankschließfach.
- https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/betrug/enkeltrick/