Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei dem Bürgertreff in Neuruppin. Dort fällt auch der Satz, der mit „Niemand hat vor“ beginnt.
Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei dem Bürgertreff in Neuruppin. Dort fällt auch der Satz, der mit „Niemand hat vor“ beginnt. Imago/Janine Schmitz

Es sind Dinge, die in diesen Tagen passierten und die mich nachdenklich machen. Zwei Geschehnisse, bei denen ich aufhorchte und mich fragte, ob unsere Spitzenpolitiker jetzt die Gepflogenheiten der einstigen DDR-Machthaber Walter Ulbricht und Erich Honecker übernehmen wollen.

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Das erste Ereignis spielte sich im brandenburgischen Neuruppin ab. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich dort auf dem Schulplatz den Fragen der Bürger zur Energiekrise, der Inflation und dem Krieg in der Ukraine gestellt. Und dann fiel plötzlich von ihm dieser Satz: „Niemand in diesem Land hat vor, dass auf Demonstranten geschossen wird, und wer solche Schauermärchen verbreitet, ist ein schlimmer Propagandist, wenn ich das einmal ganz deutlich sagen darf!“

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„Niemand hat vor“: So ein Satz fällt ausgerechnet vor Ostdeutschen. Ich bin mir sicher, die meisten erinnerten sich sofort an Ulbricht, wie er am 15. Juni 1961 auf einer Pressekonferenz leicht verkürzt sagte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“ Knapp einen Monat später wurde sie doch errichtet. Ulbricht stand als Lügner da.

Kanzler Scholz ist weit davon entfernt, mit seinem „Niemand hat vor“ als Lügner in die Geschichte einzugehen. Es ist schon absurd, anzunehmen, die Regierung ginge mit Waffengewalt gegen Demonstranten vor, wenn es angesichts steigender Preise zu Protesten kommen könnte. So wie es in Neuruppin der Fragesteller und Auslöser der Scholz-Antwort befürchtete und mit seiner Schießbefehl-Frage auf eine Situation in der DDR während der Demonstrationen im Herbst 1989 anspielte.

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Scholz hat wohl gar nicht gemerkt, dass er Ulbrichts Worte benutzte

Bei aller verständlicher Furcht vor möglichen Auseinandersetzungen – aber wir leben doch nicht in einem totalitären Staat! Hätte man in der DDR öffentlich Ulbricht oder Honecker nach einem Schießbefehl gefragt, wäre derjenige garantiert ins Gefängnis gekommen. Der Mann aus Neuruppin, der dem Kanzler so eine Frage stellte, wurde nicht abgeführt.

DDR-Staatschef Walter Ulbricht 
DDR-Staatschef Walter Ulbricht  dpa/Zentralbild

Dennoch ist es unbedacht, wenn Scholz, der im Osten des Landes in Potsdam wohnt und in einer Stadt vor Leuten mit DDR-Vergangenheit spricht, unbedacht der Folgen einen Satz mit „Niemand hat vor …“ beginnt. Wir Ostdeutsche sind da sehr empfindsam. Allerdings vermute ich, dass der Kanzler diese Worte nicht mit Absicht sagte. Möglich, dass er noch nicht einmal merkte, dass er Ulbrichts Worte verwendete.

Wir müssen sie tragen, doch Vize-Kanzler Habeck ist ohne Maske im Flugzeug - das hat DDR-Geschmäckle 

Das Foto sorgt für Ärger. Vize-Kanzler Robert Habeck auf dem Weg nach Kanada: In der Kabine des Regierungsfliegers tragen  er und sein Gefolge keine Masken. 
Das Foto sorgt für Ärger. Vize-Kanzler Robert Habeck auf dem Weg nach Kanada: In der Kabine des Regierungsfliegers tragen er und sein Gefolge keine Masken.  dpa/Kay Nietfeld

DDR-Geschmäckle hat es auch, als Scholz mit dem Vize-Kanzler Robert Habeck plus Gefolge nach Kanada flog, alle im Flieger keine Masken trugen. Fliegen wir in den Urlaub, müssen wir auch weiter schön brav die FFP2-Maske tragen. Und auch weiterhin in den Zügen, wenn wir etwa zur Arbeit fahren. So haben es unsere Regierungsvertreter gerade beschlossen. Doch wenn diese dienstlich im Flugzeug sitzen, geht es ohne, weil die Corona-Regelung wohl für Regierungsflüge nicht gilt.

DDR-Staatschef Erich Honecker - er war Ulbrichts Nachfolger. 
DDR-Staatschef Erich Honecker - er war Ulbrichts Nachfolger.  Imago/Peter Probst

Kein Wunder, wenn da die ostdeutsche Seele schreit: Das ist ja wie zu DDR-Zeiten, als Honi und Politbüro-Genossen gegen den Westen wetterten und in ihrer Bonzen-Siedlung in Wandlitz heimlich die Waren des Klassenfeindes konsumierten. Wasser predigen und Wein saufen, nennt man so etwas. Das Gute: Politiker, die das tun, können wir bei uns abwählen. In der DDR ging das nicht.

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com