Ein kaputter Fernseher, in dem Zeitungen stecken. (Symbolfoto)
Ein kaputter Fernseher, in dem Zeitungen stecken. (Symbolfoto) Imago/Blickwinkel

Liebe Leserinnen und Liebe Leser,

derzeit verfolgen wir wohl alle mit größtem Interesse  die Nachrichtensendungen im Fernsehen aus dem Kriegsgebiet der Ukraine. Dabei stolperte ich über den Ausdruck „das Narrativ“. Dieses Wort benutzen sowohl die Journalisten vor Ort, wie die Kommentatoren, Welterklärer und sogar Nachrichtensprecher.

Nachrichten sollten so formuliert sein, dass alle sie verstehen

Meine erste Reaktion war hier eher gereizt und säuerlich, denn ich finde, dass die wichtigen Nachrichten des Tages wirklich jeder verstehen sollte, sie sollte nicht unnötig kompliziert und unverständlich sein. Dabei bin ich nicht blöd! Das Wort hat sich jedenfalls einen Weg in Grundsatzreden und Leitartikel gebahnt. Da gibt es also das Narrativ des Ostens und das Narrativ des Westens. Was ist denn nun ein Narrativ, wenn beide es haben?

Nachgeschlagen kommt es von lateinisch narrare, „erzählen“.  Bis in die ersten Jahre unseres neuen Jahrtausends wurde narrativ fast ausschließlich als Adjektiv  verwendet, also „erzählend“, in erzählender Form darstellend. Dann ist das Narrativ wohl „eine Erzählung“. Aber offenbar ist das nicht so einfach.

Ein Narrativ ist eine sinnstiftende Erzählung

Denn es wird damit eine sinnstiftende Erzählung bezeichnet, die Einfluss hat auf die Art, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Es soll Werte und Gefühle erklären, die in der Regel auf einen Nationalstaat oder eine bestimmtes Kulturgebiet bezogen sind und einem zeitlichen Wandel unterliegen. Alles klar?

Vom Krieg in der Ukraine ausgelöst durch den Überfall der russischen Armee aufgrund Putins Befehl lesen und hören wir genug. Nun stelle ich mir das Narrativ von Berlin vor. Mit Berlin verbinde ich erstmal diese Schlagworte und ihre Bedeutung: Berlin ist Hauptstadt. Hier ist alles groß und viel. Wandel, offen, kreativ, fortschreitend, fortschrittlich, wahrheitsliebend und frech, widersprüchlich, arm und sehr reich.

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Menschen auf der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor in der Nacht vom 9. auf den 10.11.1989.
Menschen auf der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor in der Nacht vom 9. auf den 10.11.1989. dpa/Peter Kneffel

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Gründerzeit, Fortschritt, Siemens, AEG, Charité, Robert Koch, 20er-Jahre, Walter Rathenau, die ganz dunkle Zeit und Berlin als Machtzentrum, Überlebenskampf – wie Phönix aus der Asche, Luftbrücke, Revolution, 17.Juni, Aufstand und Evolution, Mauerfall, Brandenburger  Tor. Entwicklung. Schmelztiegel für Ost und West. Jedes dieser Worte hat eine Geschichte. Und alles zusammen bildet das Narrativ von Berlin.

Da ich aber erst vor 31 Jahren  hier in diese Stadt gekommen bin, können Sie, liebe Leserinnen und Leser bestimmt, viel mehr erzählen, über das, was Berlin für Sie ganz persönlich ausmacht. Erzählen Sie es mir gerne.

Ihre Sabine Stickforth

URIER-Autorin Sabine Stickforth schreibt über das Leben über 50 in Berlin.
Anregungen an wirvonhier@berlinerverlag.com.