Wenn das erste Lichtlein brennt ... Adventsstimmung hier und eine Fußball-Weltmeisterschaft in einem Land, das viel Kritik auf sich gezogen hat.
Wenn das erste Lichtlein brennt ... Adventsstimmung hier und eine Fußball-Weltmeisterschaft in einem Land, das viel Kritik auf sich gezogen hat. imago/Kirchner-Media

Der Totensonntag ist schon fast vorbei. Nach einem Besuch auf dem Friedhof gehe ich in den Keller. In einer Woche ist erster Advent, deshalb hole ich die Weihnachtskiste aus ihrer 330-Tage-Verbannung. Erstmöglicher Zeitpunkt, denn vor dem Totensonntag kommt das nicht infrage. Ich mag Tradition und wundere mich jedes Jahr aufs Neue über Weihnachtdekorationen, die schon im frühen November in den Fenstern blinken. 

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Im Laufe der Woche will ein Adventsgesteck geschmückt sein. Am liebsten klassisch, mit roten Kerzen und kleinen roten Kugeln und Glöckchen. Dazu das besondere Grün von Zweigen einer Blautanne, das passt. Ich begutachte meine filigranen Schätze in der Kiste. Meine älteste Glaskugel stammt noch aus Urgroßmutters Zeiten, sie hing wohl schon zu schweren Kriegs-Weihnachten an einem Tannenbaum.  Und in diesem Jahr liegt nun neben dieser historischen Kugel der Fußball-Weltmeisterschaftsplaner vom KURIER. 

Ist das ernst gemeint oder nur rührseliger Kitsch?

Ich stelle den Fernseher an, es wird die WM-Eröffnungsfeier aus Katar übertragen. Diversität, Inklusion und Toleranz sind die Themen der opulenten Show, das passt gut zur besinnlichen Vorweihnachtszeit. Ich will gern glauben, dass es ernst gemeint ist und nicht nur rührseliger Kitsch.

Für Fußball interessiere ich mich nur mäßig, Ahnung von diesem Ballspiel habe ich überhaupt keine. Aber ich mag die Emotionen, die solche großen  Turniere auslösen. Mit Freunden, Bekannten oder Nachbarn draußen Fußball schauen. Mit der Lieblingsmannschaft mitfiebern -  in einem Biergarten, auf alten Stühlen vor einem Späti  oder auf einer Riesenfanmeile am Brandenburger Tor. Ich genieße diese heitere Leichtigkeit des Seins und die Sicherheit, dass in den nächsten Wochen die Termine feststehen. Denn irgendein wichtiges Spiel ist immer. Bis der Meister gekürt ist. Manchmal war es tatsächlich wie ein Sommermärchen.  

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Nun also eine WM zu einer Jahreszeit, in der es hierzulande in der Regel grau, kalt und windig ist. Gespielt wird in einem Land, das wegen Menschrechtsverletzungen viel Kritik auf sich gezogen hat. Gewöhnungsbedürftig ist das Turnier auch, weil pünktlich zum ersten Spiel tatsächlich Schnee bei uns liegt.

Die bunten WM-Fähnchen taumeln im Schneegestöber

Bei meinem Lieblingsitaliener hängt eine Kette mit den Fahnen der  WM-Teilnehmerländer vor dem Lokal. Vor wenigen Tagen habe ich gesehen, wie die Wimpel im Schneegestöber taumelten. Nicht weit entfernt davon entdecke ich in der Schönhauser Allee an einer Hauswand ein  Transparent, das zum Boykott der Fußball-WM aufruft. In unmittelbarer Nachbarschaft dazu zieht in einem Fenster ein illuminiertes Rentier mit Schlitten seine Bahnen. Daneben winkt ein güldener Engel. 

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Hollywood-Star Morgan Freeman moderiert die Eröffnungs-Show in Katar. Dafür erntet er später viel Kritik.  Aber Freemans Auftritt gemeinsam mit dem katarischen Paralympics-Sportler und WM-Botschafter Ghanim Al-Muftah bewegt mich. Ich wünschte, es hätte viel mit der Realität in Katar zu tun. Aber vielleicht gibt es auch nur so viel Gemeinsamkeiten, wie eine amerikanische Weihnachts-Schmonzette mit einem Weihnachtsfest in Zeiten von Krieg in der Ukraine und Gaskrise hat.   

Hollywood-Star Morgan Freeman gemeinsam mit dem Paralympics-Sportler Ghanim Al-Muftah bei der Eröffnungs-Show zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.&nbsp;
Hollywood-Star Morgan Freeman gemeinsam mit dem Paralympics-Sportler Ghanim Al-Muftah bei der Eröffnungs-Show zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.  dpa/Robert Michael

Mir gefällt das schwebende WM-Maskottchen La'eeb. Der Name bedeutet aus dem Arabischen übersetzt soviel wie „super talentierter Spieler“. Laut Fifa soll  La'eeb alle dazu aufrufen, an sich zu glauben - ganz nach dem Motto "Jetzt oder nie". Doch dann höre ich am Montag, dass Kapitänsbinden mit buntem „One Love“-Aufdruck von der Fifa scharf sanktioniert werden. Deshalb sieht es im Moment so aus, als blieben diese Zeichen gegen Diskriminierung, für Offenheit und Vielfalt in Katar ungetragen.  

Unterdessen versuchen vor meinem Haus Kinder aus den letzten verbliebenen weißen Krümeln einen Schneemann zu bauen. Ich lege den WM-Planer erstmal weit weg.

Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com