So wie hier an einer Schule in Berlin-Tiergarten standen die Menschen an vielen Berliner Wahllokalen in Warteschlangen.
So wie hier an einer Schule in Berlin-Tiergarten standen die Menschen an vielen Berliner Wahllokalen in Warteschlangen. Foto: dpa/Monika Skolimowska

Natürlich fiel er, der unvermeidliche Spruch über die Schlange, als ich am Sonntag vor meinem Wahllokal in Pankow anstand. Ansonsten aber war es eine entspannte, nahezu fröhliche Wartegemeinschaft, in die wir uns in den frühen Nachmittagsstunden einreihten. Die Sonne schien, die Menschen machten einen gelassenen Sonntagseindruck. Und störten sich wenig daran, dass die Reihe der Wartenden zeitweise auf mehr als 60 Wähler anwuchs. 

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Vom Haus gegenüber dem Wahllokal winkte eine junge Frau Leuten in der Reihe zu, die sie offenbar gut kannte. Deren nachdrücklich formuliertem Wunsch nach einer Flasche Sekt kam sie zwar nicht nach, aber sie eilte wenig später barfuß zu uns, in der Hand ein Körbchen – gefüllt mit verschiedenen Sorten Eis am Stiel.

Sie verteilte es an ihre Freunde und dann auch an ihr offensichtlich völlig Unbekannte. Die Laune stieg, ein Mann wollte die edle Spenderin gar wählen, wie er versprach. Man merkte der Frau an, dass sie sich in ihrer Rolle gefiel. 

Zu viele Abstimmungen an einem Wahlsonntag 

Nicht ganz so amüsiert über die Lage in den Berliner Wahllokalen war offenbar Bundeswahlleiter Georg Thiel, als er am Nachmittag sagte, es sollte vor den Wahllokalen nicht aussehen „wie vor einer Disko“. Zudem nannte er es mit Blick auf Berlin ungünstig, zu viele Abstimmungen an einem Wahlsonntag vorzunehmen. „Je mehr Wahlvorgänge zusammenkommen, desto mehr Stress erzeugt man in der Organisation und in den Wahllokalen vor Ort“, sagte Thiel dem Magazin „Spiegel“. 

Von großem Andrang am Wahllokal erzählte mir auch meine Freundin in Köpenick. Für ihre betagten Eltern wäre langes Anstehen zur Strapaze geworden. Aber die Tochter fand eine freundliche Wahlhelferin, die dafür sorgte, dass die Eltern sofort ihre Stimmen abgeben durften. Und niemand der Anstehenden murrte oder meckerte darüber, dass die Senioren vorgelassen wurden.       

Bänke für Senioren vor dem Wahllokal 

Auch an meinem Wahlort gab es ermattete Senioren, für sie standen Bänke bereit. Und während ich auf dem Bürgersteig stehend ausharrte, war viel Zeit für Gedankenspiele. Das letzte Mal hatte ich in einer derartigen Schlange gestanden, als ich am Günstig-Flieger-Check-In am Flughafen Tegel Geduld beweisen musste. Oder vor vielen vielen Jahren, als im Konsum-Kaufhaus meiner brandenburgischen Heimatstadt überraschend eine Lieferung mit französischen Jeans angekommen war. Mit meiner Mutter stand ich damals weit hinten in der Reihe. Dagegen war die aktuelle Schlange am Wahllokal höchstens eine Blindschleiche. 

Dann kam er, der Spruch, auf den ich wartete

Während ich noch über die Marke des damaligen Hosen-Angebots nachdachte, kam er endlich, der Spruch, den ich schon die ganze Zeit erwartet hatte. Ein mittelalter Fahrradfahrer kam vorbei und rief belustigt und vielleicht sogar etwas hämisch: „Was ist denn hier passiert, es gibt wohl Bananen!“ Ich war froh, dass wir dann endlich dran waren. 

Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com