KURIER-Kolumne „Wir im Osten“

Ist das irre? Im Osten könnten wir länger leben – wenn man nur will!

Unser Autor staunt: Laut Forscher gibt es die meisten vermeidbaren Sterbefälle im Osten Deutschlands. Doch was heißt das?

Teilen
Sterben müssen wir alle einmal. Doch laut einer Studie wären viele Todesfälle vermeidbar gewesen - vor allem im Osten Deutschlands
Sterben müssen wir alle einmal. Doch laut einer Studie wären viele Todesfälle vermeidbar gewesen - vor allem im Osten DeutschlandsWerner Krueper/Imago

Es gibt Nachrichten, die verwundern einen als Journalist immer wieder. So auch in dieser Woche, als beim Sichten der News aus aller Welt mir diese Meldung auffiel. In der ging es um unsere Sterblichkeit. Nun gut, dass unser Leben nicht endlich ist, ist wirklich nichts Neues. Aber die Mitteilung des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, dass ausgerechnet wir Menschen im Osten länger leben könnten, wenn wir nur wollten, hat mich nun doch überrascht.

Da haben also jetzt Forscher herausgefunden, dass es vor allem im Osten Deutschlands mehr vermeidbare Todesfälle gegeben hätte als im Rest der Bundesrepublik – in den Jahren 2017 bis 2019, als der Begriff Corona für uns alle noch ein Fremdwort war.

Laut ihrer Studie waren in dieser Vorpandemiezeit in einigen Regionen im Osten, besonders in Mecklenburg-Vorpommern und  Sachsen-Anhalt, insgesamt 245 bis 270 Sterbefälle je 100.000 Einwohner vermeidbar. In vielen süddeutschen Regionen wie Bayern gab es dagegen nur 165 bis 185 Sterbefälle, die nicht nötig gewesen wären.

Ich bin baff. Ich kann also offenbar dem Tod ein Schnippchen schlagen, wenn ich nur will. Aber wie kann man denn nun sein Ableben vermeiden – vor allem als Ostdeutscher, der offenbar davon bedroht ist?

Rauchen und Alkohol trinken - ein Genuss, der unserer Gesundheit schaden und für eine kürzere Lebenszeit sorgen kann.
Rauchen und Alkohol trinken - ein Genuss, der unserer Gesundheit schaden und für eine kürzere Lebenszeit sorgen kann.Ute Grabowsky/Imago

Meine Erkenntnis:  Ich werde alle risikobehafteten Arbeiten im Haushalt sofort einstellen. Etwa das Säubern der Dachrinne am Haus, denn da kann man ja schnell von der Leiter fallen und sich das Genick brechen. Das muss ja nicht sein!

Auch das Ausräumen des Geschirrspülers werde ich künftig vermeiden. Erst neulich las ich davon, wie eine Hausfrau fast ums Leben gekommen wäre, als sie vor einem solchen offenstehendem Gerät so unglücklich stürzte, dass sie dabei auf ein spitzes Messer fiel, das sich im Besteckkorb befand. Wer weiß, vielleicht sind solche Fälle ja in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt vermehrt an der Tagesordnung.

Lesen Sie auch: Ost-Fest mit Fahnenappell: Darf man die DDR überhaupt noch feiern?>>

Während ich in Gedanken schon mein Leben ändere, um nicht ein vermeidbarer Sterbefall zu werden, lese ich, dass die Forscher darunter doch etwas anderes meinen. Im Ernst: Sie verstehen darunter solche Todesursachen, die nicht sein müssten, wenn man gesünder leben würde – etwa zu vieles Rauchen oder Alkoholmissbrauch. Leider verraten die Forscher nicht, ob und warum nun vor allem im Nordosten Deutschlands mehr gequalmt oder gesoffen wird als anderswo.

Ein DDR-Schnapsladen in der Berliner Rosenthaler Straße: Harte Sachen gab es im SED-Staat reichlich, der zur Weltspitze gehörte, wenn es ums Trinken ging.
Ein DDR-Schnapsladen in der Berliner Rosenthaler Straße: Harte Sachen gab es im SED-Staat reichlich, der zur Weltspitze gehörte, wenn es ums Trinken ging.Rolf Zöllner/Imago

Saufen wir uns im Osten zu Tode? Die DDR war Weltspitze beim Alkoholgenuss

Auf der anderen Seite lag der Osten zu DDR-Zeiten an der Weltspitze, wenn es um das Trinken ging. Laut einer Statistik süffelte angeblich jeder DDR-Bürger allein im Jahr 1987 im Schnitt 16 Liter oder 23 Flaschen Weinbrand, Klaren oder Likör, dazu kamen noch 143 Liter Bier – das war mehr als dreimal so viel wie noch in den 50er-Jahren.

Alle KURIER-Kolumnen finden Sie auf unserer Kolumnen-Seite! >>

In Defa-Filmen wurde der Alkoholmissbrauch in der Gesellschaft thematisiert. Einige Künstler konnten davon selber ein Liedchen singen. Sogar ganz oben im Politbüro zeigte so mancher führende Genosse, dass er bei Wein und Schnaps kein Kostverächter war.

Gesund und länger leben: Die Lebenserwartung in Deutschland liegt im Schnitt bei 83,4 Jahren (Frauen) beziehungsweise bei 78,5 Jahren (Männer).  
Gesund und länger leben: Die Lebenserwartung in Deutschland liegt im Schnitt bei 83,4 Jahren (Frauen) beziehungsweise bei 78,5 Jahren (Männer). Kniel Synnatzschke/Imago

Nicht nur in der Freizeit soff man, auch auf der Arbeit. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich als Lehrling in einem VEB höllisch aufpassen musste, dass ich in dem Kühlschrank der Werkstatt nicht zur falschen Cola-Flasche griff. Denn bei einigen war noch harter Stoff Marke „Blauer Würger“ beigemischt. 

Wie dem auch sei: Die Studie sollte uns zumindest zum Nachdenken anregen, künftig mehr und besser auf unsere Gesundheit zu achten – egal wo man in diesem Land lebt. Denn alt wollen wir doch alle werden. Ich will es auf jeden Fall.

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com