Kolumne „Wir im Netz“

Ist das Internet tot?

Eine alte Verschwörungstheorie klingt mit jedem Jahr plausibler – und Social-Media-Nutzer fragen sich, ob sie schon in einer dunklen Zukunft leben.

Author - Jana Hollstein
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Leben wir vielleicht bald in einer Roboter-Welt?
Leben wir vielleicht bald in einer Roboter-Welt?Nicolas Armer/dpa

Sind Sie schon mal auf einen Deepfake hereingefallen? Wenn man Geschichten gehört wie die von der Französin, die für den mit Künstlicher Intelligenz generierten (also falschen) Brad Pitt ihren Ehemann verlassen hat, ist es leicht, sich zu denken: „Mir könnte das niemals passieren“. Aber die Tatsache ist: Das Internet ist voller „falscher“ Bilder, Videos etc. – vielleicht sogar mehr, als es Nutzer gibt.

Auf Foren wird der Tod des Internets beschworen

Die „Dead Internet Theory“ (deutsch: „Totes-Internet-Theorie“) ist eine Verschwörungstheorie, die inzwischen schon vier Jahre alt ist (in Internet-Jahren also uralt). Damals wurde sie von einem unbekannten Nutzer in einem Forum niedergeschrieben, danach über Foren und YouTube-Videos weiterverbreitet, bis sie schließlich sogar in der US-Zeitschrift „The Atlantic“ landete und von da aus in anderen Medien. Heute ist die Theorie eigentlich bei allen bekannt, die sich mit dem Internet näher beschäftigen.

Die Dead Internet Theory besteht aus zwei Teilen: Erstens behauptet sie, dass menschliche Aktivität im Internet seit 2016 oder 2017 größtenteils durch Bots (automatisierte Computerprogramme) und Algorithmen ersetzt wurde, und dass das, zweitens, von Staaten so gewollt ist, um Menschen zu kontrollieren. Der zweite Teil der Theorie driftet stark in antisemitische Verschwörungstheorien ab und sie zu besprechen, fehlt mir hier der Platz. Aber der erste Teil ist tatsächlich eine weitverbreitete Sorge und scheint mit jedem Jahr immer plausibler zu werden.

Ein Mann präsentiert auf Facebook stolz ein „Denkmal an seinen Hund“. Hätten Sie erkannt, dass das Bild KI-generiert ist? Weder Mann noch Hund oder Hintergrund sind echt.
Ein Mann präsentiert auf Facebook stolz ein „Denkmal an seinen Hund“. Hätten Sie erkannt, dass das Bild KI-generiert ist? Weder Mann noch Hund oder Hintergrund sind echt.Facebook

Facebook generiert Bilder und Videos mit KI

Nehmen wir zum Beispiel den Konzern Meta, dem Facebook und Instagram gehören. Ich bin inzwischen kaum mehr auf Facebook, weil ich von mit Künstlicher Intelligenz generierten Bildern dort überschwemmt werden. Das bekomme ich auch von anderen mit: Facebook gilt als kaum mehr nutzbar, weil KI-generierte Bilder von dem Algorithmus der Social-Media-Plattform aggressiv geteilt werden.

Die wiederum bekommen tausende „Gefällt mir“-Reaktionen und Antworten, die auf den ersten Blick echt aussehen, bei denen man mit der Zeit aber merkt: Das sind automatisierte Reaktionen. Kein Mensch war auf irgendeiner Ebene beteiligt. Computerprogramme reden miteinander, weil – ja, warum eigentlich? Wahrscheinlich, wäre meine Vermutung, weil Facebook so vorgaukeln kann, mehr Nutzer zu haben, als es eigentlich hat, und damit Firmen anlocken, die für Werbung zahlen wollen.

Mark Zuckerberg geht damit tatsächlich teils erschreckend offen mit um. Auf Instagram wurden kürzlich „Nutzer“ eingeführt, die vollkommen KI-generiert waren, die KI-generierte Bilder teilten, und mit denen man wie mit einem Chatbot reden konnte. Dafür hat Meta ziemlich viel Gegenwind bekommen, auch weil es ja eigentlich illegal ist, die Nutzerzahlen zu verfälschen mit Computerprogrammen. Die „Nutzer“ wurden nach wenigen Tagen vom Netz genommen.

Die Roboter sind hier – im Internet

Aber das heißt nicht, dass die Entwicklung wieder rückläufig ist. Im Gegenteil. Seit Jahren gibt die Cyber-Sicherheits-Firma Imperva Berichte über Bot-Aktivitäten ab. Im Jahr 2023 soll 49,6 Prozent der Nutzer des Internets Bots gewesen sein, was 2 Prozent mehr sind als noch 2022. Dieser Anstieg liegt laut Imperva auch an der Künstlichen Intelligenz. Wir teilen uns das Internet also zur Hälfte mit Robotern.

Noch ist das Internet also nicht tot – aber wer weiß. Was noch vor wenigen Jahren als Verschwörungstheorie galt, wird heutzutage immer offener als echte Bedenken formuliert von Leuten, die Ahnung haben. Für uns als Durchschnitts-Nutzer sozialer Medien ist es zumindest gut, im Kopf zu behalten, dass von allem, was wir im Internet sehen, die Chance 50/50 steht, dass es nicht echt ist.

Jana Hollstein schreibt immer dienstags für den KURIER über die große weite Welt des Internets. Mails an wirvonhier@berlinerverlag.com