Ein Fortschritt ist ohne Zweifel das Onlinebanking im Internet. Auch diese Seniorin nutzt ein Handy und Laptop. (Symbolfoto)
Ein Fortschritt ist ohne Zweifel das Onlinebanking im Internet. Auch diese Seniorin nutzt ein Handy und Laptop. (Symbolfoto) Imago/Westend61

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als sehr junge Frau Koffer packte und Pullis, Wäsche, Schuhe und Krimskrams in bunten Plastiktüten verstaute. Wie fand ich das toll! Heute habe ich dafür längst Wäschesets aus Baumwolle. So geht es mir bei vielen Dingen, die ich einst als Fortschritt empfand und nun – mit 50 plus – hinterfrage.

Noch ein paar Beispiele, um das zu verdeutlichen: Fertiggerichte haben meine Familie oft vor tristem Abendessen bewahrt – heute lese ich die Zutatenliste und stelle das Produkt ganz schnell zurück ins Regal. Lieber ein einfaches Gericht, als erst im Lexikon prüfen, was sich hinter diesen kryptischen Zutaten verbirgt.

Fast verschwunden sind auch die Shoppingtouren mit Freundinnen. Das Bummeln von Geschäft zu Geschäft, schauen, anprobieren, Stoffe fühlen oder vor dem Spiegel einen neuen Stil kreieren. Und nach dem Shopping noch eine Runde im Café sitzen. Ist es das stets verfügbare Internet, das diese heiteren Einkaufsbummel killte?

Oder ist es das Einerlei der Angebote, denn die großen marktbeherrschenden Handelsmarken gibt es mit ihren Angeboten überall, in jedem der Berliner Einkaufszentren, aber auch in London, Paris oder Athen. Die kleinen Labels, die viel Raum für Individualität öffnen, haben kaum Chancen. Ich vermisse zunehmend Bäcker, die Brot und Brötchen selbst backen, und Fleischerei-Fachgeschäfte, die schon Appetit machen, sobald man nur die Ladentür geöffnet hat.

Ein Leben ohne Handy ist nicht mehr vorstellbar

Nein, ich bin keine Fortschrittsleugnerin. Ich kann mir ein Leben ohne Handy, Internetrecherche, Navi, Online-Banking, ohne die scheinbar grenzenlose Mobilität nicht mehr vorstellen und habe einen Riesen-Respekt vor Wissenschaftlern, die in den letzten 100 Jahren mit so bahnbrechenden Entdeckungen wie der ersten erfolgreichen Organtransplantation (1954), der Antibabypille (1960), der ersten E-Mail (1971) die Welt und damit uns alle veränderten.

Aber mehr denn je nutze ich meine Neugier, um die andere Seite des Fortschritts zu entdecken. Was mich antreibt? Das Suchen nach einem achtsamen, sinnvollen und umweltbewussten Leben. Schritt für Schritt erforsche ich neue Wege, um mein persönliches Konsumverhalten halbwegs in Einklang mit Ökologie und Nachhaltigkeit zu bringen.

Das klingt zu gewaltig? Kann sein, aber es ist oftmals viel leichter als gedacht: Ich entscheide mich sehr bewusst für regionale Produkte beim Einkauf, frage auch mal im Restaurant nach, woher die Zutaten kommen, nehme das Fahrrad oder die BVG statt des Autos, pflanze Blumen, an denen die Bienen ihre Freude haben, koche, was die Jahreszeiten auf den Tisch bringen – und immer öfter ohne Fleisch, verzichte wann immer möglich auf Plastik, achte bei Anschaffungen bewusst auf ökologische Eigenschaften ...

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In einer Welt, die eigentlich nicht nachhaltig ist, ist es sehr schwierig, sich daran zu halten. Ich versuche es zumindest.Was meinen Sie, lieber Leser? Bewusster leben macht womöglich zufriedener.

Ihre Sabine Stickforth

KURIER-Autorin Sabine Stickforth schreibt jeden Dienstag über das Leben über 50 in Berlin.
Anregungen an wirvonhier@berlinerverlag.com.