Anstehen vor dem Bücherladen gehörte zum DDR-Alltag - wie hier vorm „Das gute Buch“ am Alexanderplatz.
Anstehen vor dem Bücherladen gehörte zum DDR-Alltag - wie hier vorm „Das gute Buch“ am Alexanderplatz. Imago(Achim Duwentäster

Mitten im Westen Berlins habe ich den größten Schatz des Ostens entdeckt. In Form einer Ausstellung der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, die es jetzt unter anderem in der Volkshochschule Tempelhof Schöneberg zu sehen gibt. „Leseland DDR“ heißt sie. Und wenn ich mir so die Ausstellungstafeln betrachte und mich zurückerinnere, waren Bücher wirklich der größte Schatz, den wir in der DDR hatten.

Das war schon aus mehreren Gründen so. Etwa aus wirtschaftlichen, da Papier wie heute schon damals teuer war, und die DDR-Verlage Papier, meist war es recyceltes aus Altpapier, sogar zugeteilt bekamen, um Bücher zu drucken. Das waren eine ganze Menge, die sie herausbringen mussten, denn der Lesehunger der DDR-Bürger war enorm groß.

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So manche werden sich noch erinnern, wie man vor den Buchläden in großen Warteschlange stand. Und Bibliotheken waren im Gegensatz zu heute, gut besucht. Und wer glaubt, es gab nur die Propaganda-Lektüre – nein, Weltliteratur war zu haben, wenn auch nicht immer in großen Mengen.

Abenteuerbücher von Jules Verne, die Goldsucher-Geschichten von Jack London, die Musketiere von Alexandre Dumas, das alles habe ich in meiner Jugendzeit verschlungen. In einem Hinterzimmer eines Buchladens in Adlershof, in dem meine Oma arbeitete, und zu dem ich nach Schulschluss immer eilte, um in eine andere Welt einzutauchen.

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Versunken in einer anderen Welt: Ein Junge liest in einem Buch am Märchenbrunnen in Friedrichshain.
Versunken in einer anderen Welt: Ein Junge liest in einem Buch am Märchenbrunnen in Friedrichshain. Imago/NBL Bildarchiv

Daher waren Bücher in der DDR ein unbeschreiblicher Schatz. Mit ihnen konnte jeder, der in dem eingemauerten Staat lebte, mit Hilfe des geschriebenen Wortes in ferne Länder und sogar durch die Zeit reisen. In die ferne Zukunft, denn es gab erstklassige Science-Fiction-Literatur, etwa die Romane von Stanislaw Lem.

Oft war die Lektüre, auch wenn sie äußerlich nach SED-Propaganda aussah, inhaltlich politischer Sprengstoff. Man denke nur an die Bücher der Vorzeigeautorin Christa Wolf („Der geteilte Himmel“, „Nachdenken über Christa T.“). Die sozialistische Gegenwartsliteratur sparte nicht mit Kritik an der DDR. Man musste nur zwischen den Zeilen lesen können – und das konnten wir.

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Bücher aus der DDR: Sie lagern hier in der Peter-Sodann-Bibliothek im sächsischen Staucha. Der TV-Star Peter Sodann hat sich zum Ziel gesetzt, den Schatz des Ostens zu bewahren.
Bücher aus der DDR: Sie lagern hier in der Peter-Sodann-Bibliothek im sächsischen Staucha. Der TV-Star Peter Sodann hat sich zum Ziel gesetzt, den Schatz des Ostens zu bewahren. Bundesstiftung Aufarbeitung/C. Marz

Die DDR war auch ein Leseland für Alt und Jung

Nicht nur für Erwachsene war die DDR ein Leseland, auch für Kinder. „Alfons Zitterbacke“ lebt heute noch weiter, etwa in Filmen. „Bootsmann auf der Scholle“ von Benno Pludra war eines meiner Kinder-Lieblingsbücher. Oder die sechsteilige Indianerbuch-Reihe „Die Söhne der großen Bärin“, zu der man flüchtete, um sich von der sowjetischen Propaganda-Schullektüre  „Wie der Stahl gehärtet wurde“ zu erholen.

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Apropos Indianer und DDR: Auch wenn es viele heute nicht glauben wollen, die Karl-May-Bücher waren lange Zeit in der DDR tabu. Wer sie hatte, konnte unglaubliche Geschäfte machen. In dem vom Historiker Stefan Wolle (DDR-Museum Berlin) verfassten Buch zur Ausstellung „Leseland DDR“ ist eine Zeitungsanzeige aus den 70er-Jahren abgedruckt: „Biete Karl May, 51 Bände. Suche Trabant 601.“ Und ohne Fachlektüre konnte man den Wagen nicht reparieren. Da kann man einmal sehen, wie wertvoll Bücher in der DDR waren.

Wenn Sie noch Lektüre aus dieser Zeit haben, bewahren Sie sie auf. Ich habe es jedenfalls getan. So einen Schatz gibt man nicht her. Übrigens: Googlen Sie einmal im Internet, die Leseland-Wanderausstellung gibt es auch in ihrer Nähe.

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com