Rehe sind wunderschöne Tiere - deshalb sollten Autofahrer vor allem an Waldrändern den Fuß vom Gas nehmen.
Rehe sind wunderschöne Tiere - deshalb sollten Autofahrer vor allem an Waldrändern den Fuß vom Gas nehmen. Foto: imago/Panthermedia

Wann haben sie zuletzt ein wildes Tier gesehen, ein Reh vielleicht, einen Hirsch oder ein Wildschwein? Es gibt in der freien Natur zweierlei Begegnungen mit Wildtieren, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Entweder beim Wandern im Herbst, wenn weit entfernt auf dem Feld ein Reh ganz zart und anmutig von Hügel zu Hügel springt. Oder aber: Wenn es auf einmal, mitten in der Nacht, auf der Straße steht, im Licht der Scheinwerfer des Autos. So plötzlich, dass es zu spät zum bremsen ist. Jedes Jahr passieren Hunderttausende Wildunfälle auf Deutschlands Straßen. Was tun bei Wildunfällen – und wie können sich Autofahrer schützen?

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Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Wildunfälle gehören zu den Unfallursachen, vor denen im Straßenverkehr einfach niemand geschützt ist. Laut Statistik der Versicherer wurden allein im vergangenen Jahr insgesamt 272.000 Wildunfälle gemeldet. Alle zwei Minuten rammt in Deutschland also ein Auto ein wildes Tier. Mehrere werden es sein, während Sie diesen Artikel hier lesen.

Wildschweine und Rehe gehörten für mich immer zum Alltag

Ich habe zu Rehen, Wildschweinen und Co. ein anderes Verhältnis als die meisten Leute in der Großstadt. Auch hier rücken die Tiere seit Jahren immer weiter in den Lebensraum der Menschen vor. Waschbären, Füchse und auch Wildschweine sind längst keine Seltenheit mehr. Allerdings komme ich vom Land, wuchs auf in Schmilka, einem kleinen 100-Seelen-Dorf im Elbsandsteingebirge in der Sächsischen Schweiz. Mein Vater war vor dem Ruhestand Revierförster, der Wald war somit auch ein Teil meines Lebens.

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Und der Wald: Er ist auch im Elbsandsteingebirge überall. Eben auch entlang der Verbindungsstraße unseres Dorfes nach Bad Schandau, die nächstgrößere Stadt. Sie liegt umgeben von Bäumen, ein seichter Hang an der einen, die Elbe auf der anderen Seite. Hier gilt Tempo-Limit 80. Aber: Selbst mein Fahrschullehrer, für den die Zahl auf dem Schild nie nur eine Empfehlung war, sondern ein Wert, an den man sich zu halten hat, korrigierte den Tacho hier bei Fahrten in der Dunkelheit nach unten.

Denn: Die Strecke, die ich in meinem Leben, meist als Beifahrer, Tausende Male entlanggefahren bin, ist ein Mekka der Wildschweine. Sie kommen vom Hang, um in der Nacht an der Elbe zu trinken und auf den seichten Wiesen direkt am Fluss nach Essbarem zu suchen. Wir wissen das, fahren hier vor allem in Dämmerung und Dunkelheit manchmal mit 30 statt 80. Werden angehupt und für verrückt erklärt. Und dann brettern die, die nach uns kommen, mit 120 Sachen an uns vorbei. Ein Irrsinn.

Vor allem im Morgengrauen ist Vorsicht geboten: Dann sind die Rehe noch auf Feldern unterwegs.
Vor allem im Morgengrauen ist Vorsicht geboten: Dann sind die Rehe noch auf Feldern unterwegs. Foto: Angelika Warmuth/dpa

Verrückt ist auch: Bei einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde erreicht ein Reh, so zart und schmal, rein rechnerisch ein Aufschlagsgewicht von einer halben Tonne. Das Tier wird das garantiert nicht überleben – und auch für den Autofahrer drohen Gefahren. Die derzeit besonders präsent sind: Während im April und Mai vor allem Wildschweine für Crashs sorgen, sind es im Herbst Rehe und Hirsche, denn momentan läuft die Brunftzeit, also die Paarungszeit, in der die Tiere aktiver sind als sonst.

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Deshalb gilt, vor allem an Wald- und Feldrändern: Runter vom Gas! Experten empfehlen, bei Sichtkontakt mit dem Tier Fernlicht abblenden, bremsen, hupen und das Auto in der Spur halten. Auf keinen Fall ein Ausweichmanöver starten, das endet zu oft am Baum oder im Gegenverkehr. Und: Vorsichtig fahren. Selbst wenn das Reh von der Fahrbahn springt, kann der Rest der Familie noch nachkommen. Und falls es nun zum Knall kommt? Unfallstelle sichern, Polizei rufen, falls es Verletzte gibt, den Rettungsdienst.

Wildunfälle vermeiden: Was kann man tun, wie kann man sich schützen?

Und was kann man tun, um einen Unfall zu vermeiden? Die Antwort lautet schlicht: wenig. Denn Wildtiere lassen sich von sämtlichen Maßnahmen, die ausprobiert wurden, um sie von Fahrbahnen fernzuhalten, nicht beeindrucken. Stattdessen: Bitte fahren Sie vorsichtig und vorausschauend. Und langsam! Auch wenn 80 erlaubt sind: Nehmen Sie vor allem in der Dämmerung den Fuß vom Gas. Das hilft – und rettet im Zweifel Leben. Tierisches und menschliches.

Tatsächlich kann ich mich trotz der Nähe zum Wald und der täglichen Fahrten durch das Reh- und Wildschweinparadies und dank der Fahrweise meiner Eltern nur an einen einzigen Wildunfall erinnern. Wir fuhren durch unser Dorf, mit 20 in der 30er-Zone. Es war dunkel – und plötzlich kam, von der Elbe kommend, ein Wildschwein über die Straße gehetzt. Allerdings rannte es nicht vor, sondern auf unser Auto!

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Es kam also nicht zum Knall, stattdessen wagte das Schwein eine Hechtrolle über die Motorhaube, landete auf allen Vieren auf der anderen Seite, guckte kurz und brachte sich dann gut gelaunt in Richtung Wald in Sicherheit. Unvorstellbar, was passiert wäre, wenn wir nicht mit 20, sondern mit 50 unterwegs gewesen wären. Vermutlich hätte es gereicht, um die abendliche Fahrt in einer Katastrophe enden zu lassen. Aber so hatten wir vor allem eines: Schwein.

Florian Thalmann schreibt jeden Mittwoch im KURIER über Tiere.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com