Nur weil ein Ost-Professor sich in der deutsch-deutschen Ehe unterdrückt fühlt: Muss ich mich als Ossi mit den Wessis zoffen?
Der Thüringer Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann rechnet in seinem Buch über die Beziehung zwischen den Ost- und Westdeutschen ab. Die Ossis hätten im wiedervereinten Land noch immer das Nachsehen.

Seit 32 Jahren ist Deutschland wiedervereint. Klar, dass es in der Ehe zwischen Ossis und Wessis noch immer nicht alles reibungslos läuft, wie man es gerne hätte. Doch mittlerweile, so habe ich es festgestellt, sind sich die Menschen in diesem Land durch Corona und aktuellen Krisen wie dem Krieg in der Ukraine, Inflation und steigenden Energiekosten wesentlich näher gekommen, als es in den Jahren zuvor gewesen war. Denn die Probleme, mit denen wir gerade zu kämpfen haben, betreffen jeden – ob man nun im Osten oder im Westen Deutschlands lebt.
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Das sieht der thüringische Literaturprofessor Dirk Oschmann ganz anders. In seinem jüngst veröffentlichten Buch mit dem provokanten Titel „Der Osten – eine westdeutsche Erfindung“ zieht er Bilanz über den Wiedervereinigungsprozess und behauptet im Kern seiner über 200 Seiten dicken Schrift, dass die Ostdeutschen nach wie vor vom Wessi unterdrückt werden.
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Das belegt er unter anderem anhand vieler Statistiken. So seien noch immer in der Wirtschaft oder in Ämtern mehr Westdeutsche als Ostdeutsche in Führungspositionen. Der logische Schluss: Wer mehrheitlich das Sagen habe, bestimme damit auch das Geschehen im Land – also im Sinne der Wessis.
Sieht man sich allein die aktuelle Bundesregierung an, könnte man es fast glauben. Von den 17 Kabinettsmitgliedern sind nur zwei gebürtige Ostdeutsche – Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD).
Aktuell sind 65 Prozent der Deutschen laut einer ARD-Umfrage derzeit mit der Arbeit der Ampel-Koalition unzufrieden. Dass es nun mehr Menschen im Osten als im Westen sind, liegt aber nicht daran, dass sich der Ostdeutsche von einer von Westdeutschen dominierenden Regierung unterdrückt fühlt.
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Zoff in der deutsch-deutschen Beziehung? Meine Ost-West-Ehe funktioniert
Ich denke, dass wir aus den gemachten Erfahrungen in der DDR mit den SED-Machthabern politische Vorgänge viel kritischer sehen und beurteilen. Den Mund aufmachen, auch wenn es nicht jedem passt, ist auch ein Zeichen von gewachsenem Selbstvertrauen der Ostdeutschen im wiedervereinten Deutschland.
Selbst wenn der Literaturprofessor aus Thüringen es dennoch anders sieht: Ich habe mich als Ossi nie von Wessis unterdrückt gefühlt. Ein persönlicher Glücksfall? Ja! Denn meine Ost-West-Ehe funktioniert – und das seit über 20 Jahren.
Das Geheimnis: Meine Frau hat ihre Erfahrungen aus dem Westen Berlins und ich meine aus dem Osten in einen Topf geworfen – und wir versuchen daraus das Beste zu machen. Wir begegnen uns auf Augenhöhe – ohne dass jemand seine Herkunft verleugnen muss.
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Im Gegenteil: Wir erzählen uns, wie wir einst den Westen und den Osten erlebten, und blicken in eine gemeinsame Zukunft. Sollte es mal Reibereien geben, werden sie mit einem Glas Rotkäppchen-Sekt oder einer Westmarke beendet.
Warum müssen also Ossis und Wessis miteinander zoffen, wenn eine Beziehung im Kleinen auch in einer großen deutsch-deutschen Ehe klappen kann? Man muss nur wissen wie. Vielleicht schreibt der Literaturprofessor aus Thüringen darüber in seinem nächsten Buch.
Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com