Manchmal konnten die Reden von Erich Honecker die Zuhörer ermüden - wie man hier bei Michail Gorbatschow sehen kann, als er 1987 die DDR besuchte.
Manchmal konnten die Reden von Erich Honecker die Zuhörer ermüden - wie man hier bei Michail Gorbatschow sehen kann, als er 1987 die DDR besuchte. Imago/Sommer

Ist es Ihnen auch aufgefallen? In letzter Zeit werden in diesem Land wieder große Reden geschwungen – nicht nur in der Politik, auch in privaten Runden. Endlos und mit vielen Worthülsen legen da so manche Zeitgenossen über dieses und jenes los, statt sofort auf den Punkt zu kommen. Da könnte ich aus der Haut fahren.

Erst neulich ist es mir fast passiert, als vor einer Musical-Präsentation ein sonst lieber Kollege einen nicht enden wollenden Monolog über sein Job hielt. Ich wollte schon etwas Böses sagen, besann mich aber. Mensch, sagte ich mir, du kommst doch aus dem Osten, da bist du doch aus der DDR schon diese endlosen Monologe gewohnt – etwa die Reden von Erich Honecker und die hat man auch überlebt.

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Honi hatte auf Parteitagen meist über eine Stunde gebraucht, um seinem Volk zu erklären, was man auch in wenigen Worten hätte fassen können: Dass am Ende die Partei immer recht hat, der Sozialismus siegt und sich daher in der DDR nicht sehr viel ändern wird. Seine Monologe, die nur durch Beifall der Genossen unterbrochen wurden, nahmen in der „Aktuellen Kamera“ den Hauptteil der Sendung ein. In Sondersendungen wurden sie komplett übertragen. Am Tag später stand Honis Gerede auf mehreren Seiten in den Zeitungen, die dann im Altpapier landeten.

Nur einmal fasste sich Honecker kurz. Bei seiner Rede im Palast der Republik zum 40. DDR-Geburtstag am 7. Oktober 1989. Eigentlich umfasste das Rede-Manuskript fünf Seiten. Doch draußen vor dem Palast demonstrierte das Volk, rief nach Gorbi, der neben Honi an der Festtafel saß. Also verlas der DDR-Staatschef nur die ersten und die letzten Seiten seiner großen Rede. Honi ahnte es wohl, dass seine Zeit abgelaufen war und kein Mensch im Osten so ein langes Gerede hören will.

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Erich Honecker bei einer seiner langen Reden - hier hält er sie beim IX. Parteitag der SED im Palast der Republik (1976).
Erich Honecker bei einer seiner langen Reden - hier hält er sie beim IX. Parteitag der SED im Palast der Republik (1976). Imago/Werner Schulze

Lange Reden halten auch heutige Politiker ohne dabei viel zu sagen

Und heute? Da reden derzeit Politiker und Experten ebenfalls ewig, wenn auch nicht so lange wie einst Honecker. Doch bei den Themen, die durch die aktuelle Weltlage bestimmt werden, kommt im Ergebnis oft  nicht wirklich Greifbares dabei heraus.

Nehmen wir doch nur die letzte Ministerpräsidenten-Runde beim Kanzler vor einer Woche. Stundenlang wurde abends in der Runde über das Entlastungspaket für die Bürger debattiert, die dann ergebnislos endete.

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Erst Tage später rückte man mit einem vorsichtigen Plan heraus, wie der hohe Gaspreis künftig gedeckelt werden soll. Aber was passiert mit den ebenso hohen Preisen für Strom und Lebensmittel, die alle belasten? Oder wird es einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket bei den Öffis geben? Darüber wird seit langem viel und lange geredet - aber bisher gibt es nur wage Verlautbarungen.

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Wie gesagt, die Menschen im Osten kennen so etwas aus ihrer Vergangenheit, gehen daher wieder auf die Straße. Und nicht alle lassen sich dabei von Rädelsführern aus der extremen rechten und linken Ecke verführen.

Meiner Meinung nach haben die Menschen im Osten das ewige Herumgerede in der Krise satt. Sie wollen endlich klare Worte hören und vor allem Ergebnisse und Taten sehen.

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com