Ein Jahrhundert-Leben ist zu Ende: Köpenicker Erich Karl stirbt mit 107 Jahren
Über einen Berliner, der die unterschiedlichsten Systeme erlebt hat und sich seinen spitzbübischen Charme bis zuletzt bewahrte.

„Dagegen ist kein Kraut gewachsen auf der ganzen Welt.“ Mit diesen Worten beschrieb Erich Karl, wie er dem näher rückenden Ende seines Lebens entgegenblickte: Mit Respekt und Gelassenheit, aber ohne Angst. Am 19. Juni ist Erich Karl mit 107 Jahren als wohl einer der ältesten Berliner gestorben.
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Es gibt wenige Menschen, die auf ein so langes Leben zurück blicken und so anschaulich daraus erzählen können. Und es ist ein kleines Wunder, dass Erich Karl in seinen letzten Jahren noch einmal berühmt wurde. Erich Karl war einer der Protagonisten in einem Buch, welches die Hilfsorganisation Save the Children im Frühjahr herausgegeben hat. Nach einem Aufruf in der Berliner Zeitung meldete sich der Jahrhundertzeuge, der den ersten Weltkrieg erlebte, den zweiten, die DDR und die Wende.
Erich Karl wurde zum Medienliebling, auch der KURIER schrieb über ihn
Erich Karl wurde als Ältester des Projekts „Ich lebe“ zum Medienliebling, der Berliner Kurier porträtierte den Renter, der den ganzen späten Wirbel um ihn mit seine ganz eigenen Mischung aus Neugier und Gelassenheit hinnahm. Mit seiner inneren Ruhe und Charme hat er die Menschen, die ihm begegneten, beeindruckt.
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Erich Karl hat ein bewegtes Leben gelebt. Er war eines der vielen unterernährten Kindern in Deutschland, die an ihren Schulen mit Kakaosuppe unterstützt werden – finanziert durch Spenden der 1919 in England gegründeten Organisation, die sich für Kinder in Not engagierte. Erich Karl erinnert sich genau an die Hilfe in Form eines Blechnapfs, den er als Steppke von zu Hause immer mit in die Schule in Weimar nahm.

„Der wurde an den Schulranzen geheftet“, erzählte er, „gleich neben dem Schwamm.“ Der große Moment kam dann in der Pause. Frauen mit Schürzen kippten eine Schöpfkelle voll heißer Kakaosuppe hinein, mit Reis, Zucker, Kondensmilch und Schmalz. „Die Suppe war zum Trinken gedacht“, erinnerte sich Erich Karl, „nicht zum Löffeln“. Es sei gut gewesen, dass es in der schweren Zeit damals etwas extra gab.
Später zieht Karl nach Berlin, ist Funker im zweiten Weltkrieg, und erlebt in Ost-Berlin beides: Mauerbau wie neue, gesamtdeutsche Einheit. Seit 2005 lebte der verwitwete Ruheständler in seiner eigenen Wohnung in einem Seniorenwohnheim in Köpenick. Von seinem Balkon blickte er auf das Containerdorf „Allende 2“.
„Keiner verlässt seine Heimat ohne Grund“, hatte Erich Karl denen gesagt, die Bedenken äußerten. Mit einer großen Zuneigung zu den Menschen und bis zum Schluss offen für die Welt da draußen hat Erich Karl, der im September 108 Jahre alt geworden wäre, seinen Kreis geschlossen.
Stefanie Hildebrandt schreibt im KURIER regelmäßig Kiezgeschichten und über Kiezgesichter.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com