Ein Ausflug in die Geschichte oder wie ein russischer Jagdbomber in den Berliner Stößensee fiel

Ein neues Buch rekonstruiert den Absturz eines sowjetischen Fliegers im Kalten Krieg. Auch heute noch braucht Propaganda emotionale Heldengeschichten.

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Ruhmlose Helden: „Es ist gut möglich, dass die russische Seite auch aus dem Absturz Kapustins und Janows in den Stößensee eine national-patriotische Erzählung machen wird, bei der Fakten eine untergeordnete Rolle spielen, Zwischentöne und Zweifel keinen Platz haben“, schreiben die Autoren.
Ruhmlose Helden: „Es ist gut möglich, dass die russische Seite auch aus dem Absturz Kapustins und Janows in den Stößensee eine national-patriotische Erzählung machen wird, bei der Fakten eine untergeordnete Rolle spielen, Zwischentöne und Zweifel keinen Platz haben“, schreiben die Autoren.bebra Verlag / Waleri Kapustin

In diesen Tagen über sowjetische Kampfpiloten zu schreiben, die im April 1966 vielleicht Menschenleben in Berlin retteten, mutet schräg an. Doch manche Dinge bleiben gleich, auch über Jahrzehnte. Helden werden gemacht, wenn es nützlich erscheint. Eine Geschichte, die im Kalten Krieg begann und die noch heute nicht zu Ende ist, erzählt von Propaganda in Ost und West und der Tatsache, dass Russen und Deutsche noch immer keine gemeinsame Geschichtsschreibung haben.

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Ostdeutsche hängen, wie immer, irgendwo dazwischen. Die Erkenntnisse der Russland-Experten Gesine Dornblüth und Thomas Franke, die sie im Buch „Ruhmlose Helden" sammeln, sind von Bedeutung - auch für den zukünftigen Umgang zwischen Deutschen und Russen.

Den dritten Weltkrieg verhindern - heute steht die Angst wieder im Raum

Die Geschichte, die die beiden bis in die Gegenwart erzählen geht so: Am 6. April 1966 stürzte ein sowjetischer Jagdbomber in den West-Berliner Stößensee. Hauptmann Boris Kapustin und sein Co-Pilto Juri Janow, fliegen seit Jahren gemeinsam. Bald sollen sie aus Finow bei Eberswalde wieder in die Sowjetunion zurückkehren.

Doch der Flug vom 6. April ändert alles. Fünf Jahre nach dem Mauerbau und vier Jahre nach der Kubakrise ist die Kriegsgefahr groß, als die beiden vom Luftwaffenstützpunkt der Roten Armee starten. Gerade in Berlin reicht ein Funke, der das Pulverfass, den dritten Weltkrieg entzündet.

Eine Gedenktafel erinnert an der Brücke am Stößensee an den Vorfall vom April 1966.
Eine Gedenktafel erinnert an der Brücke am Stößensee an den Vorfall vom April 1966.Gesine Dornblüth / bebra Verlag

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Kapustin und Janow sollen eine Jak-28P nach Köthen fliegen. Der Flieger ist brandneu, voll mit neuester Technik,  das Modell unterliegt strenger Geheimhaltung. Drei Mal umarmt Kapustin seine Frau Galina, bevor er zu den Hangars geht, schreiben die Autoren. Um 15:24 Uhr heben zwei Jak-28P ab, und erreichen kurz darauf Flughöhe. Über West-Berlin fallen die Triebwerke des einen Fliegers aus, die Maschine beginnt zu trudeln.

Sowjets und Alliierte erzählen verschiedene Geschichten

„Kapustin und Janow sehen die Häuser West-Berlins unter sich immer näher kommen Straßen, Autos, Menschen“, heißt es in dem Buch. Die Autoren zitieren aus dem Protokoll des Flugschreibers: „Jura, wahrscheinlich musst Du jetzt springen“, sagt der 34-Jährige zu seinem gleichaltrigen Co-Piloten. Jano antwortet: „Ich bleibe bei Ihnen. „Ruhig Jura, wir landen“ lauten schließlich die letzten überlieferten Wort Kapustins. Dann bohrt sich die Maschine in den Schlamm des Stößensees. Kapustin und Janow sind sofort tot.

Das Ehepaar Kapustin.
Das Ehepaar Kapustin.Waleri Kapustin/ bebra Verlag

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Für die Sowjetunion ist klar: Hätten die Piloten sich mit dem Schleudersitz gerettet, wäre ihre Maschine auf dicht besiedeltes Wohngebiet gestürzt. Im Westen berichtet man anders: Gäbe es die Überflüge nicht, mit denen die West-Berliner  mit ohrenbetäubenden Überschallflügen terrorisiert werden, bräuchte es auch keine Helden.  Ob es am Ende eine bewusste Tat war, über Wasser niederzugehen, können weder Historiker, Militärexperten noch die Autoren bis heute endgültig beurteilen.

Russischer Patriotismus

Bis heute gibt es zwei Lesarten dessen, was damals geschah. Nach der Wende brachte man nach der Initiative von Privatleuten eine Gedenkplakette an der Stößenseebrücke an. In Russland erwachte unterdessen der Patriotismus und damit das Interesse an den Piloten. Im November 2021 wird in Rostow am Don, der Heimatstadt Kapustins, der Grundstein für das Denkmal gelegt, das die russische Militärhistorische Gesellschaft unter ihre Ägide genommen hat.

Kapustins Witwe Galina kämpft für das Ansehen ihres Mannes.
Kapustins Witwe Galina kämpft für das Ansehen ihres Mannes.Gesine Dornblüth / bebra Verlag

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„Wir bekommen ein Denkmal für die wunderbaren russischen Soldaten, die nicht töteten, sondern retteten“, wird aus der Rede des Vorsitzenden Wladimir Medinski zitiert. Heute sitzt der Mann mit am Verhandlungstisch zwischen Ukraine und Russland. „Patriotismus bedeutet im  heutigen Russland, Negatives in der eigenen Geschichte auszusparen oder kleinzureden“, schreiben die Autoren.

Verständigung zwischen Deutschen und Russen

Zum unterschiedlichen Blick auf den Kalten Krieg gesellt sich heute das Unverständnis über den neuen Krieg Russlands. „Mit dem Ende der Sowjetunion wurde vielen Russen schlagartig klar, dass sie den Status der Zentralmacht verloren hatten und dass sich ihre gewohnten Urlaubsorte wie die Krim oder Abchasien auf einmal im Ausland befanden.

Und so brannte sich der Verlust ins kollektive Gedächtnis, nicht die Befreiung“, heißt es im Buch.  Besieger oder Befreier – zwischen diesen Polen pendelte auch die Wahrnehmung im Berlin des Kalten Krieges. Damals wie heute kommt es darauf an, die jeweils andere Sichtweise zur Kenntnis zu nehmen. Dabei hilft das Buch ungemein.

Feuerwehrtaucher Klaus Abraham mit dem Wrackteil der Jak-28P. Er würde es gern der Witwe des Piloten geben.
Feuerwehrtaucher Klaus Abraham mit dem Wrackteil der Jak-28P. Er würde es gern der Witwe des Piloten geben.Gesine Dornblüth / bebra Verlag

Gesine Dornblüth  und Thomas Franke: Ruhmlose Helden. Ein Flugzeugabsturz und die Tücken deutschrussischer Verständigung, bebra Verlag,  20 Euro.

Stefanie Hildebrandt schreibt regelmäßig im KURIER über Berlins Kieze und den Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com