Kolumne „Wir im Netz“

Dieser Weihnachtsmarkt ging viral – das kann Berlin von ihm lernen

O du fröhliche, Social-Media-taugliche Weihnachtszeit! Alle zieht es jetzt zum Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht. Der reagiert gelassen.

Author - Jana Hollstein
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Im Schnee nochmal schöner: Der Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht, hier verschneit im Jahr 2017.
Im Schnee nochmal schöner: Der Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht, hier verschneit im Jahr 2017.Arnulf Hettrich/imago

Als alteingesessene Berliner kennen Sie bestimmt das Phänomen, wenn aus dem Stamm-Café oder dem Lieblingsgeschäft um die Ecke plötzlich ein Social-Media-Hype wird. Außerhalb der Hauptstadt passiert das eher selten. Umso überraschter war ich, einen Weihnachtsmarkt aus meiner alten Heimat viral auf Instagram zu sehen. Und noch überraschter, als ich gesehen habe, wie gut er damit umgeht. Für Berlin ist der Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht vielleicht mal ein echtes Vorbild.

Hat einen Vorsprung: Ravennaschlucht kennt Massentourismus

Eines voran: Es ist nicht ganz so, als ob ein kuscheliger Schwarzwald-Weihnachtsmarkt über Nacht zum überrannten Social-Media-Event wurde. In einer Schlucht und direkt unter einem farbig beleuchteten Eisenbahnviadukt gelegen, war der Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht schon immer eine malerische Attraktion für Touristen aus der Umgebung.

Ich muss so 2008 mit meiner Familie da gewesen sein. Damals waren wir frisch nach Freiburg im Breisgau gezogen und hatten in gewisser Weise Glück. Zwei Jahre später schon soll der Massenandrang dafür gesorgt haben, dass man im Voraus Tickets kaufen musste. Wir konnten damals einfach an einem Adventswochenende aufschlagen. Andererseits war es deswegen auch damals schon unvorstellbar voll. Die Atmosphäre konnte man kaum genießen, weil man von der Masse weitergedrängt wurde.

Der Weihnachtsmarkt in diesem Jahr: Trotz Ticket-Verkauf bleibt es voll.
Der Weihnachtsmarkt in diesem Jahr: Trotz Ticket-Verkauf bleibt es voll.Philipp von Ditfurth/dpa

Viral im Internet will eigentlich niemand

Apropos Masse: Die Nachfrage ist vor allem in diesem Jahr wahnsinnig gestiegen. Die mystisch-besinnlichen Bilder der Ravennaschlucht gingen auf Instagram viral, und in der Folge waren die Tickets schon Wochen im Voraus ausgebucht. Nur auf dem Schwarzmarkt konnte man sie noch erstehen, für den dreifachen Preis. Dieses Jahr kommen Touristen aus der ganzen Welt, hauptsächlich um eine schöne Fotokulisse zu haben.

Der Zyklus des Internet-Hypes läuft oft folgendermaßen ab: Sagen wir, ein Café geht viral, es kommen Massen an neuen Kunden. Das Café ist überfordert, in der Folge gibt es lange Wartezeiten, oder die Bedienungen sind unter dem starken Stress kurzangebunden und machen Flüchtigkeitsfehler. Dann spricht sich genauso schnell herum, dass das Café seinen Hype nicht wert ist, unhöflich, das Essen sei schlecht. Langfristig hat die Viralität dem hypothetischen Café eher geschadet.

Wenn nicht nur die Social-Media-Touristen zählen

Aber der Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht ist kein Neuling. Das Ticket-System gibt es inzwischen, wie gesagt, seit mehr als einem Jahrzehnt und war damals schon eine Reaktion auf die hohe Nachfrage. So konnten auch die Massen, die Instagram dieses Jahr anschleppte, gut in Schach gehalten werden. Genauso routiniert ist das Team rund um den Weihnachtsmarkt, das die Gegend und die Besucher gut kennt und kompetent reagieren konnte.

Aber vor allem bei einer Sache war ich sehr beeindruckt von dem Management des Weihnachtsmarktes. Wer bleibt nämlich sonst immer auf der Strecke, wenn der Social-Media-Hype den Massentourismus bringt? Eben die Menschen, die vor Ort wohnen, und vielleicht auch ganz gerne ihren eigenen Weihnachtsmarkt genießen würden.

Darum gibt es in der Ravennaschlucht tatsächlich einen Tag, an dem nur Menschen aus dem Schwarzwald auf den Weihnachtsmarkt gehen dürfen. Das nennt sich dann „Wäldertag“ und ist ein Tag nur für Einheimische, die ihren Wohnsitz nachweisen können, mit reduzierten Preisen. „So eine Region lebt letztendlich von den Menschen, die hier leben“, erklärt Patrick Schreib, Geschäftsführer von Hochschwarzwahl Tourismus, die Entscheidung in einem Interview mit der Tagesschau. Es wäre doch schön, wenn wir diese Mentalität hier auch hätten.

Jana Hollstein schreibt immer dienstags für den KURIER über die große weite Welt des Internets. Mails an wirvonhier@berlinerverlag.com