Kolumne Wir von hier

Die Sorgen einer alten Dame

Unsere Autorin traf eine Seniorin am Bankautomaten und fragt sich, wer der Frau beim nächsten Mal hilft?

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Eine Seniorin schiebt eine Karte in einen Bankautomaten in Berlin.  (Symbolfoto)
Eine Seniorin schiebt eine Karte in einen Bankautomaten in Berlin. (Symbolfoto)Sabine Gudath/imago

Weil meine persönliche Digitalisierung nicht perfekt ist, muss ich manchmal noch eine real existierende Bankfiliale besuchen. So wie unlängst. In dem Vorraum, in dem Geld- und Kontoauszugsautomaten stehen, warte ich. Erst erledigt eine junge Frau ihre Geschäfte, dann tritt eine gepflegte alte Dame mit Rollator an einen Automaten. Sie sieht sympathisch aus, ich schätze sie auf Ende 80. Das kann dauern, denke ich mir. Weil es langweilig ist in dem kleinen Kabuff, beobachte ich, was die Frau an dem Computerterminal versucht.

Erst kramt sie ihre Bankkarte hervor. Etwas hilflos blickt sie sich um. Dann drückt sie auf das Display des Automaten, erst vorsichtig, dann immer forscher. Es scheint sich nichts zu tun, wohl deshalb beginnt sie mit den Fingern auf dem Bildschirm zu wischen. Immer wieder hin und her. Ob das was wird, frage ich zunächst mich. Und dann spreche ich sie an, ob ich helfen könne. Ja, sagt sie zögernd.

Hat es geklappt mit der Überweisung?

Als ich mich neben sie stelle, merke ich, dass sie sich noch nicht an dem Gerät angemeldet hat. Ich erkläre, wie es geht, und will wegen der Geheimzahl wieder einen Schritt zurücktreten. Nein, nein, bleiben Sie nur hier, meint sie. Und fragt mich, wie sie denn nun herausbekommt, ob eine Überweisung, die sie Anfang der Woche in Papierform abgegeben hat, wirklich ausgelöst worden sei.

Es ist offensichtlich, dass es der Frau schwerfällt, sich auf dem Display des Automaten bis zu den Umsätzen ihres Kontos durchzuklicken. Wir schaffen es dann gemeinsam: Die fragliche Summe ist tatsächlich mit einem Minuszeichen versehen. Die alte Dame ist zufrieden. Dass sie sich nun an dem Automaten abmelden sollte, weiß sie nicht. Als wir das erledigt haben, verstaut sie ihre Karte wieder in der Umhängetasche und bedankt sich in gewählten Worten. Einen verwirrten Eindruck macht sie nicht, nur mit dem Bank-Computer fremdelt sie offenbar sehr.

Papierne Kontoauszüge, die gibt es jetzt komplett nur noch einmal im Monat – manche Senioren finden das schwierig.
Papierne Kontoauszüge, die gibt es jetzt komplett nur noch einmal im Monat – manche Senioren finden das schwierig.imagebroker/imago

Früher hätten ihr jederzeit verfügbare papierne Kontoauszüge ihre Frage beantwortet. Oder ein Bankmitarbeiter hätte ihr geholfen. Doch, das weiß ja auch ich, die Bank ist an einfachen Kontakten mit ihren Kunden nicht mehr sonderlich interessiert. Alles soll online oder höchstens mit telefonischer Beratung ablaufen. Und komplette Kontoauszüge zum Anfassen gibt es nur noch einmal im Monat.

Wenn es keine Kinder und Enkel gibt, die sich kümmern

Wo die Älteren dabei bleiben, das scheint egal. Ich erinnere mich an einen Beitrag in der Märkischen Allgemeinen vom Frühjahr diesen Jahres, der über einen Potsdamer Rentner berichtete. Der Mann protestierte öffentlich dagegen, dass es bei seiner Bank nur noch einmal im Monat gedruckte Kontoauszüge gibt. Dies sei für ihn nicht hinnehmbar, tagesfrische Kontoauszüge seien für ihn „die einzige Möglichkeit über die knappen Finanzen einen aktuellen Überblick zu behalten“. Online-Banking wolle er nicht und Daten auf dem Display könne er sich nicht merken, weil er schon fast 80 sei.

Ich vermute, dass er und die alte Dame mit diesen Problemen nicht allein sind. Wo es keine Kinder, Enkel oder Nachbarn gibt, die sich der digitalen Dinge annehmen können, macht sich Hilflosigkeit breit. In Berlin leben laut Landesstatistikamt mehr als 375.000 Menschen im Alter von 75 plus. Sicher sind viele von ihnen mit schicken Smartphones ausgerüstet, kommunizieren ohne Schwierigkeiten online und kennen sich mit Apps, TANs und PIN-Verwaltung bestens aus.

Die Angelegenheiten selbstbestimmt meistern

Was aber ist mit denen, die nur ein Festnetztelefon haben, die ihre Papiere gern in grauen Ordnern sammeln und so ihre Angelegenheiten selbstbestimmt meistern. Die nächsten Hürden für sie sind schon aufgestellt: E-Rezept und elektronische Patientenakte. Für die alte Dame hoffe ich zumindest, dass ihr am Bankautomaten auch das nächste Mal wieder jemand hilft.

Claudia Pietsch schreibt jede Woche im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt zur Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com