Die einen sparen, die anderen nicht. In Berlin sind viele Werbetafeln auch am späten Abend noch hell erleuchtet
Unsere Autorin hat sich in einer Nacht auf die Suche nach Energiesparern gemacht

Wenn es abends dunkel wird, leuchten in meiner Straße alle Laternen. Nur jene direkt vor meinem Haus bleibt seit kurzem finster. Ich frage mich, ob das mit der seit Anfang September geltenden Energiesparverordnung des Bundes zu tun hat. Deshalb schaue ich mich spät am Abend in der Stadt mal um, ob Lichter nun vielerorts ausgehen.
Alle KURIER-Kolumnen finden Sie auf unserer Kolumnen-Seite! >>
Den seit 1. September geltenden Regeln zufolge ist der Betrieb beleuchteter Werbeanlagen von 22 bis 16 Uhr des nächsten Tages untersagt. Es gibt allerhand Ausnahmen. Bei denen geht es vor allem darum, keine unbeleuchteten und deshalb vielleicht gefährlichen Orte entstehen zu lassen. Auch Schaufenster dürfen in der Nacht weiter strahlen. An öffentlichen Gebäuden in Berlin wird auf Beschluss der Landesregierung hingegen schon seit Wochen an der Beleuchtung gespart.
Überall einladendes Licht
Auf der Schönhauser Allee sieht es an diesem Freitag gegen 23.00 Uhr aus wie immer. In Restaurants und Kneipen stehen bei spätsommerlichen Temperaturen alle Türen offen. Über Lokal-Tischen auf den Gehwegen und an provisorischen Sitzecken vor Spätis leuchten Lichterketten einladend. Mit bunten Verheißungen an ihren Läden werben Wirte um die Aufmerksamkeit potentieller Gäste.
An den durchsichtigen Wartehäuschen von Tram- und Bushaltestellen sehe ich wie gewohnt Werbetafeln. Beleuchtet, hinterleuchtet oder mit digitalem Wechselprogramm. Beispielsweise jene, auf der mir Promis aus Funk und Fernsehen berichten, dass sie eine bestimmte TV-Zeitschrift zuhause haben. Das scheint wichtig in der Nacht. Auch jeder Kiosk unter der U-Bahn, so scheint es mir, hat seine eigenen Reklametafeln, die leuchtend im Weg herumstehen.
Soweit, so hell. Energiesparen sollen wir, weil Deutschland sich durch den russischen Angriff auf die Ukraine und seine Reaktionen darauf in einer angespannten Gasversorgungslage befindet. Der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller sagt dazu: „Jetzt kommt es aber auf jede/n an. “
Werbetafeln erst im Winter abschalten?
Ob das schon alle wissen? An einer Tankstelle frage ich die Mitarbeiterin, ob die Außenwerbung nicht zumindest reduziert sein sollte. Sie fragt ungläubig zurück: „Müssen wa dit jetzt?“ Ich weiß es allerdings auch nicht so genau. Werbung ist Werbung, oder? Besser informiert gibt sich ein Angestellter in einem Dönerimbiss. Ich komme mit ihm ins Gespräch und er erzählt mir, dass auch er seine Reklametafeln abschalten soll - „aber erst im Winter.“
Bußgelder für Verstöße gegen die neuen Regeln soll es dem Vernehmen nach nicht geben. In der Verordnung steht zumindest nichts dergleichen. Gesetzt wird offenbar auf Einsicht und Vernunft. Oder auf die Angst vor hohen Energierechnungen.
Ich bin weiter in Berlin unterwegs und sehe in mehreren großen Bürogebäuden beleuchtete Etagen, in denen augenscheinlich gerade niemand arbeitet. Auf einem Werkshof entdecke ich einen riesigen Fahrradständer. Dass dort gerade niemand sein Rad parkt, kann ich gut erkennen - denn der Platz ist bis aufs letzte Eckchen ausgeleuchtet. Auf dem Kudamm hingegen fallen fehlende Lichtquellen auf. Die Werbetafeln auf den Bürgersteigen, zwischen denen es sich an trüben Abenden so wunderbar flanieren lässt, sind abgeschaltet.

Nach all dem bleibe ich gespannt, wie es in unseren Straßen an einem klassisch feucht-trüben Novemberabend in diesem Jahr aussehen wird. Vorher aber freue ich mich noch auf das Festival of Lights im Oktober. Der prachtvolle 10-tägige Lichterzauber an den schönsten Häusern unserer Stadt darf nämlich trotz allen Energiesparens stattfinden. Warum das so ist, habe ich nicht richtig verstanden. Aber eines habe ich schon herausbekommen: Straßenlaternen dürfen der Verordnung zufolge weiter leuchten. Da wird jene vor meinem Haus wohl einfach nur kaputt sein.
Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com