Trotz Corona-Pandemie ins Theater: Der Tag, an dem ich das „Team Vorsicht“ für einige Stunden verließ
Unsere Autorin hatte einen schönen Theater-Abend in Berlin, musste sich aber auch sehr wundern.

Lieber Familienbesuch von der Ostseeküste hat sich zur Berlin-Visite angesagt. Zu so einem Treffen gehört für uns ein Theaterabend. „Mord im Orientexpress“ soll es diesmal sein, in der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater. Der Besuch hat die Karten schon vor langer Zeit geordert, ich buche meine erst auf den letzten Poeng. Aber davon später mehr.
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Mit Blick auf Corona gehörte ich – ohne Fan von Markus Söder zu sein – bis zu diesem Freitag konsequent zum „Team Vorsicht“. Ich mied, wenn möglich, Menschenansammlungen aller Art. Habe die meisten Aktivitäten mit anderen ins Freie verlegt. Weil ich selbst keinen Bock auf Corona habe und aus Sorge um meine Nächsten, insbesondere meine Mutter.
Mit dem Segen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach
Aber da der Bundestag just an diesem Tag das geänderte Infektionsschutzgesetz beschloss, mit dem die meisten bundesweiten Corona-Schutzregeln wegfallen, denke ich mir, da kann man schon mal wagemutiger sein. Sozusagen ein Abenteuer mit dem ausdrücklichen Segen von Minister Karl Lauterbach.
Schon in der U2 bewundere ich wie so oft kreative Arten, Masken so zu tragen, dass sie ganz sicher vor nichts schützen. Und wundere mich dann auch nicht mehr über den Mann, der offenbar annimmt, ein provisorisch vor Mund und Nase gehaltenes, zerknittertes Zellstoff-Taschentuch hätte irgendeinen Effekt. Ich bin froh, als ich endlich rauskomme aus dem vollbesetzten U-Bahn-Wagen.
Mit großem Hallo begrüßen wir uns auf dem Theatervorplatz. Lange nicht gesehen, viel zu erzählen, aber erst mal geht es in den Musentempel. An den Eingängen wird die geltende 3G-Regel akribisch kontrolliert. Beruhigend, finde ich. Keine Chance dem Virus. Doch in den Foyers ist es voll. Und eng. Als sich dann endlich der Vorhang hebt, bin ich sofort fasziniert von der großen Katharina Thalbach in der Hosenrolle als belgischer Meisterdetektiv Hercule Poirot. Ich tauche ein in diesen bunten Boulevard-Theaterspaß und versuche, alle Bedenken fallen zu lassen.
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Der neue Hertha-Trainer Felix Magath und Corona
Denn der Außenplatz, den ich mir in vermeintlich weiser Voraussicht gebucht habe, befindet sich zwar tatsächlich außen, aber dummerweise an der Wand und nicht am Gang, wie ich gehofft hatte. Selbst wenn ich den Saal verlassen wollte, hätte ich keine Chance. Plötzlich muss ich an die Moderatorin Maybrit Illner und den frischgebackenen Hertha-Trainer Felix Magath denken, denen Corona in dieser Woche ihre Pläne zerschosss. Und an den Mann einer Bekannten, der schon seit Wochen auf einer Intensivstation leidet.
Trotz des grandiosen Theatervergnügens schweifen meine Blicke auch durch den Saal. Zwar tragen alle Masken, aber das Theater ist voll besetzt. Und Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als es gebaut wurde, konnte sich naturgemäß noch niemand vorstellen, dass mehr als 100 Jahre später einmal Mindestabstände das Gebot der Stunde sein werden. So sitzen wir gemütlich dicht an dicht. Und mancher Zuschauer nestelt an seiner Maske, lässt einfach mal kurz Luft darunter. Denn es ist warm im Saal. Schließlich nestele auch ich heimlich.
Nach dem Theater haben wir noch großen Redebedarf und suchen uns eine passende Bar. Es gibt noch so viel zu erzählen. Über unserer Freude über den gelungenen Theaterabend und den neuesten Geschichten aus der Familie übersehen wir großzügig, dass es in der Bar zugeht, als wäre Corona längst Vergangenheit. Wir ignorieren die Sorglosigkeit und genießen die gemeinsamen Stunden.
Erübrigt sich fast zu sagen, dass der Fahrer des Taxis, mit dem ich in der Nacht nach Hause fuhr, keine Maske trug. Aber das war mir dann schließlich auch egal.
Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
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