Wer auf der Suche nach einem neuen Duft ist, der geht meistens in die Parfümerie seines Vertrauens, lässt sich beraten und/oder schnuppert sich durch das Angebot, bis er oder sie bei einem Parfum landet, das gefällt. Ich habe aber einen kleinen Tipp für Sie: Wenn Sie mal die Neugier packt und Sie ein bisschen Zeit haben, schauen Sie doch vor Ihrem nächsten Gang in die Parfümerie mal bei den Parfum-Influencern auf Social Media vorbei. Da bekommen Sie nicht nur außergewöhnliche Tipps, sondern tauchen gleich in eine abgefahrene Parallelwelt ein.
Im Internet werden Parfums zu Dildos
Es heißt: Wer lernen will, gut zu schreiben, der soll sich daran üben, über Düfte zu schreiben. Das liegt daran, dass Düfte so flüchtig sind; so eng verbunden sind mit dem Teil unseres Gehirns, der für Erinnerungen zuständig ist, dass sie gleichzeitig Emotionen und Bilder hervorrufen, ohne wirklich greifbar zu sein. Warum riecht etwas gut? Welche Assoziationen und Gefühle ruft ein Duft hervor und wie kann man das den Leser fühlen lassen? Jemand anderem einen Duft zu erklären, ist unglaublich schwer.
Auf Social Media gibt es ganz viele Menschen, die genau das in Video-, Text- oder Bildform versuchen. Das trägt manchmal ganz schön schräge Blüten. Man nehme nur Jeremy Fragrance, in Deutschland Vorreiter der Online-Parfum-Community. Er postet auf Deutsch und Englisch, ist dadurch auch international berühmt. In seinen Videos redet er gerne darüber, wie männlich er sich mit seinen Lieblingsdüften fühlt und wie er damit alle Frauen rumkriegt.
Manchmal treibt er es mit seinen verbalen Duft-Assoziationsspielchen zur Belustigung der Zuschauer etwas weit, wie bei seinem Review des Parfums „360° Red for Men“ von Perry Ellis: „Es ist der Dildo der Parfum-Industrie und ... ja. Das ist gar nicht mal so witzig. Ich weiß immer noch nicht, wie ich über das Thema Masturbation reden soll. Schwierig, Mann. Ich tu’s, aber ich komme dabei nicht zum Orgasmus ... eigentlich mache ich’s nur, um meine Männlichkeit zu boosten. Letzten Endes will ich natürlich eine Freundin haben und eine Frau und Kinder mit ihr ... also, ja. Das ist mein Review von Perry Ellis‘ ‚360° Red‘.“
@bringjermeyback Jermey fragrance > #jeremyfragrance #sigma #deep #tiktok ♬ original sound - Jeremy Kyle
Für jeden Geschmack: Im Internet finden sogar Moor-Hexen Parfums
Auf der anderen Seite gibt es gerade im englischsprachigen Raum immer schrägere Parfum-Empfehlungen. Die TikTokerin chamberoflilith hat knapp 28.000 Follower und bündelt in jedem ihrer Posts thematisch ihre Empfehlungen. Bei ihr finden Sie zum Beispiel „Parfums für Ihre Reise in den Magischen Realismus“, „Parfums für Anhänger von Carl Jung“ oder „Parfums für Moor-Hexen“.
Eine andere TikTokerin, perfumerism, hatte es sich im letzten Jahr zur Aufgabe gemacht, ein Parfum zu finden, das nach Milch riecht, angestoßen von dem Parfum „Milk“ von Commodity. Dabei hat sie nicht nur eine begeisterte Fan-Gemeinde gesammelt, die ihre Suche gespannt verfolgte, sondern hat auch einen kleineren Trend bei tatsächlichen Parfum-Herstellern losgetreten, die, teils in Zusammenarbeit mit ihr, neue Milch-inspirierte Düfte auf den US-Markt gebracht haben.
@perfumerism Replying to @COURTBIH 🔗 in blo! #perfumetok #milk #milkperfume ♬ Lofi/Fashionable/Rose Piano/10 minutes(1455693) - nightbird_bgm
Dass sich in den sozialen Medien so viele abgefahrene und teilweise realitätsferne Parfum-Influencer finden, hat, glaube ich, zwei Gründe. Erstens: Hat man eine Social-Media-Plattform, muss man nun mal regelmäßig posten, sonst gehen einem die Follower schnell flöten. Und einfach nur jede Woche „Ich mag ‚Chanel No. 5‘, das riecht so schön frisch“ in die Kamera zu sagen, wird da schnell langweilig und repetitiv.
Aber zweitens, und das finde ich eigentlich ganz schön: Social Media gibt jedem, der sich sehr leidenschaftlich mit einem Thema beschäftigt, die Plattform, lang und breit darüber zu reden. Das ist dann für Außenstehende oft befremdlich. Aber irgendjemanden gibt es immer, der einem dabei zuhört und die Leidenschaft teilt.
Jana Hollstein schreibt immer dienstags für den KURIER über die große weite Welt des Internets. Mails an wirvonhier@berlinerverlag.com ■