„Der Alexanderplatz ist einer der hässlichsten Orte der Hauptstadt“
Unsere Kolumnistin hat diesen dahingeschriebenen Satz gelesen, sich fast geärgert und dann umgesehen

Der Berliner Alexanderplatz, „der für viele einer der hässlichsten Orte der Hauptstadt ist, ein Relikt der eintönigen DDR-Architektur“. Diesen Nebensatz lese ich im Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Fast bin ich geneigt, mich zu ärgern, doch dann denke ich mir, fahr doch einfach mal hin. Verklär nichts, schau, wie es jetzt da aussieht.
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Ich war wohl nicht mehr auf dem Alex, der seit 1805 den Namen eines russischen Zaren trägt, seitdem unser Verlag vor einigen Jahren von der Karl-Liebknecht-Straße nach Kreuzberg zog. Das änderte auch meine Wege. In der U2 denke ich mir, „setz dich mal an diesem schönen Herbsttag auf den Rand des Brunnens und verschaff dir einen Eindruck“.
Vorher muss ich in der U2 einmal umsteigen, denn ein Hochhausbauprojekt hat den U-Bahnhof Alexanderplatz etwas ins Wanken gebracht. Deshalb muss gependelt werden, der Umbau vom Alexanderplatz ist so schon am Senefelderplatz zu spüren.
Der Brunnen der Völkerfreundschaft ist mit einem Zaun abgeschirmt
Das mit dem Brunnen der Völkerfreundschaft war keine so kluge Idee von mir, denn das Areal ist durch einen Holzzaun abgeschirmt, die Anlage selbst mit hellen Planen abgedeckt. Ein etwas trostloser Anblick, später lese ich, dass die Kacheln der Anlage erneuert werden sollen. Nichts zum Sitzen da, also auf in Richtung Kaufhaus Galeria.
Dessen Schaufenster in der unteren Etage sind fast alle ebenfalls von Zäunen verdeckt. An der nordwestlichen Ecke des Kaufhauses hat ein Bau-Investor ein Stück des Hauses abknabbern lassen, weil er dort ein Hochhaus errichtet. 134 Meter soll es über den Platz ragen. Mit Schaufenster-Kieken ist es wegen der Bauarbeiten also vorerst nichts.
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Dort, wo des Investors Bagger graben, zeigen Bilder am Zaun, welch funkelnde Wolkenkratzer hier bald stehen sollen. Sie wollen visionär aussehen. Dass das nicht den Beifall aller findet, wird auch schnell klar. Gekritzel findet sich auf den Hochglanzfotos am Bauzaun. Zu lesen ist „Dit is nich mehr unsre Stadt“ und „Wem gehört die Stadt? Wem gehört die Bank? Und wem gehört die Parkbank?“ Offenbar ein Zitat aus einem Songtext. Wohl ein Ausdruck der Sorge, dass alles sich immer mehr verändert und manche nicht mehr mitkommen könnten.
Einkaufen im Centrum-Warenhaus
Ich gehöre zu der Generation, die in den Jahren des Babybooms geboren wurde, Mitte der 50er bis Ende der 60er Jahre. Ein Ost-Boomer sozusagen. Viele von uns, heute 50 plus, haben wahrscheinlich überwiegend gute Erinnerungen an den Alex.
Dort stand das Centrum-Warenhaus. Dort fuhr man zu DDR-Zeiten hin, wenn man mal was Besonderes einkaufen wollte. Egal, ob man in Berlin, Schwerin oder Zeitz wohnte. Dort gab es Südfrüchte, so hieß das damals, weiche Baumwollstoffe und, wenn man Glück hatte, auch mal West-Jeans. Oder schlicht die immer raren Erdnuss-Flips.
Hinterher aß man ein Softeis und saß am Brunnen. Und sah später auf dem Heimweg bei den anderen an den Netzen mit den Flips, dass sie auch im Centrum-Kaufhaus waren. Wir waren jung und brauchten Jeans. Für die Architektur des Platzes, heute gern auch auch DDR-Moderne genannt, haben wir uns weniger interessiert. Höchstens mal die charakteristische Waben-Struktur an der Fassade von Centrum-Kaufhaus bestaunt. Viel interessanter war es für uns aber, am Brunnenrand nette neue Leute kennenzulernen.

Weil den Alex wegen seiner Umgestaltung noch weitere Baugruben unwirtlich machen, lasse ich die Weltzeituhr links liegen und laufe unter der S-Bahn-Brücke hindurch. Denn die andere Seite des Platzes mit dem Fernsehturm in der Mitte gehört – gefühlt – auch noch zum Alex. Von den weißen Flügeln der Pavillons unterm Turm platzt die Farbe in großen Flatschen ab. Die jungen Leute, die aus vieler Herren Länder stammen, stört das nicht. Sie haben hier einen riesengroßen Raum, um andere zu treffen. Sie fühlen sich offensichtlich ähnlich wohl, wie die Touristen in der Warteschlange am Fernsehturm.
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Auch die Wasserspiele am Fernsehturm plätschern nicht
Die nahen Wasserkaskaden plätschern nicht. Ich weiß nicht, ob sie wegen des drohenden Winters schon abgeschaltet wurden oder ob sie vielleicht kaputt sind. Dafür spielen in den leeren Becken Kinder. An den weiträumigen Rosen-Beeten liest eine alte Dame ein Buch. Wenn ich den Buchtitel richtig entziffere, handelt es vom Alexanderplatz.
Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
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