Ein schöner Moment  der Erinnerung an Oma und Enkelin (Symbolbild)
Ein schöner Moment der Erinnerung an Oma und Enkelin (Symbolbild) Imago/Westend61

Liebe Leserin und lieber Leser,

als ich vergangenen Samstag aufstand, nach dem ersten Kaffee lechzte und mir überlegte, was wir an diesem Wochenende unternehmen könnten, blieb mein Rundum-Blick auf den zwei großen Kartons hängen, die – ich wage es kaum zu sagen – seit dem letzten Umzug in der Ecke des Arbeitszimmers stehen. Inzwischen waren sie schon zur Ablagefläche von Zeitschriften, Büchern und allerlei Kram geworden. Nein, bevor ich Herbstsonne, frische Luft und Nichtstun genieße, werde ich endlich diese beiden Kartons ausräumen, nahm ich mir vor.

Lesen Sie auch: Heizung entlüften spart 15 Prozent Energie! So machen Sie es richtig! Beachten Sie unbedingt die richtige Reihenfolge! >>

Und zwar heute. Gleich nach dem Frühstück. Aufräumen, aussortieren, ausmisten sollen ja, wenn man einschlägiger Ratgeber-Literatur glauben mag, dem Körper positive Signale senden, weil er nach vollbrachter Arbeit Glückshormone ausschüttet. Na, dann werde ich diese Aussage mal im Praxistest überprüfen, dachte ich voller Tatendrang.

Aufräumen und aussortieren soll ja angeblich glücklich machen

Als ich den ersten Umzugskarton öffnete, durchströmte ein warmes Gefühl meinen Körper, und ich erinnerte mich, warum ich es immer wieder verschoben hatte, die Dinge auszuräumen und zu sortieren. In diese Kiste hatte ich all die Sachen gepackt, die mir von meiner Mutter geblieben waren. Schon hatte ich die Bluse im Paisley-Muster in der Hand, in der ich sie immer besonders gern sah. Den Kragen am schlichten grünen Wollkleid hatte sie selbst bestickt. Und dann kam auch schon der kleine Karton mit den gestrickten, gehäkelten und selbst genähten Kleidungsstücke für die Lieblingspuppe ihrer Enkeltochter zum Vorschein.

Ich nahm jedes der Stücke in die Hand, dabei liefen mir die Tränen übers Gesicht. All die Momente, in denen meine Tochter diese Geschenke und die Puppe neue Sachen bekam, wurden plötzlich wieder lebendig. Dabei wollte ich doch aussortieren. Wie soll das gehen in einem Alter, in dem man Verluste durchleben musste und Erinnerungen immer wichtiger werden? Aufräumen, aussortieren, wegschmeißen stand wie ein viel zu hoher Berg vor mir.

Mein Mann hatte dann eine sehr praktische Idee. Er schlug eine Fahrt ins nächstgelegene Möbelhaus vor, um Aufbewahrungsboxen zu kaufen, die ich dann auch beschriften könne. Als wir darüber sprachen, wusste ich plötzlich auch, nach welchen Kriterien ich die beiden Kisten ausräumen würde: Alle Dinge, die mit emotionalen Erlebnissen verbunden sind, kommen in die Aufbewahrungsboxen. Alles andere in Säcken für die Kleidersammlung, den Sozialladen an der Ecke, und der Rest wandert in den Müll.

Dinge, die mit schönen Erinnerungen verbunden sind, hebe ich auf

Genau so habe ich es dann gemacht. Zwischendurch dachte ich an all die geflüchteten Menschen, die ohne Fotos ihrer Familie und Freunden, ohne die Schuhe, in denen die Kinder laufen lernten, oder die ersten Liebesbriefe hier ankamen.

Alle KURIER-Kolumnen finden Sie auf unserer Kolumnen-Seite! >>

Am Ende des Tages – so lange dauerte die Aktion – stellten sich doch ein paar Glücksmomente ein, als die Kartons dann endlich zusammengefaltet im Keller standen. Und ich gönnte mir noch ein paar Augenblicke voller Erinnerungen, deren Auslöser nun in ordentlich beschrifteten Aufbewahrungsboxen liegen.

Ich weiß noch immer nicht, ob aufräumen glücklich macht. Aber Erinnerungen sorgen ganz bestimmt für wohltuende Momente.

Ihre

Sabine Stickforth

KURIER-Autorin Sabine Stickforth schreibt jeden Dienstag über das Leben über 50 in Berlin.
Anregungen an wirvonhier@berlinerverlag.com.