Astra, Johnson und Sputnik sind Mhorr-Gazellen - und kamen erst in diesem Jahr zur Welt.
Astra, Johnson und Sputnik sind Mhorr-Gazellen - und kamen erst in diesem Jahr zur Welt. Foto: Gerd Engelsmann

Ich kenne niemanden, der nicht gern mal einen Tag im Tierpark verbringt – es ist kein Wunder, schließlich ist der Park im Osten Berlins ein echtes Schmuckstück, nicht nur, aber vor allem für Tierfans. Allerdings fällt mir bei meinen Besuchen hier immer wieder eines auf: Häufig drängen sich die Besucher bei vermeintlich spektakulären Tieren, bei Giraffen, Eisbären, Löwen und Elefanten. Dabei gibt es Tierarten, die recht unscheinbar erscheinen, aber ziemlich spannend sind.

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Zum Beispiel diese: Erst in diesem Jahr kamen auf dem Gelände des Parks drei kleine Mhorr-Gazellen zur Welt. Mhorr-Gazellen… noch nie gehört? Dann wird es aber Zeit! Denn die Tiere sind eine echte Besonderheit: In freier Wildbahn gelten sie als ausgestorben. Und: Ihre Namen haben sie den Ereignissen unserer Zeit zu verdanken – die Gazellen wurden getauft auf Astra, Johnson und Sputnik! „Schließlich werden sie auch geimpft. Natürlich nicht gegen Corona, aber gegen Parasiten“, sagt Tierpfleger Serjosha Hempel (57).

Mitten im Park liegt der Friedrichstadt-Palast des Tierreichs

Hempel, der schon in seiner Kindheit ein echter Tierfan war, arbeitet seit 1980 im Tierpark, kümmert sich unter anderem um die Gazellen. Ich treffe ihn am Gehege der Tiere, gelegen zwischen Berberaffen, Kaffernbüffeln und Elchen. Gerade packt er noch frisches Laub auf die Anlage. Sofort kommen die Mhorr-Gazellen anstolziert, anmutig und elegant, in Reih und Glied. Wenn es im Tierreich einen Friedrichstadt-Palast gäbe: Diese Gazellen wären im Ballett!

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Doch dass die Tiere hier sind, ist eine echte Besonderheit. „Sie gehören zu den seltensten Antilopen überhaupt“, verrät Hempel. Ursprünglich seien sie in der ganzen Sahara beheimatet gewesen, doch durch Bejagung schrumpfte die Population immer weiter zusammen. Dass es heute noch Exemplare gibt, habe man einem Zufall zu verdanken. „Ein spanischer Zoologe entdeckte vor Jahren, dass Kolonialoffiziere in der West-Sahara solche Gazellen als Hobby hielten.“ In einer Forschungsstation sammelte man ein gutes Dutzend, züchtete sie nach, verteilte dann Tiergruppen an Zoos.

Tierpfleger Serjosha Hempel (57) kümmert sich um die eleganten Tiere.
Tierpfleger Serjosha Hempel (57) kümmert sich um die eleganten Tiere. Foto: Gerd Engelsmann

Im Tierpark in Friedrichsfelde zogen die ersten vor genau 40 Jahren ein. „Inzwischen haben wir schon über 100 dieser Tiere gehalten“, sagt Hempel. Er kam etwa zur gleichen Zeit als Tierpfleger in den Park, kann sich an die ersten Mhorr-Gazellen sogar noch erinnern.

Die ersten Mhorr-Gazellen kamen vor 40 Jahren in den Tierpark

„Sie waren damals nach den spanischen Wissenschaftlern und ihren Familien benannt.“ Damals sei es eine Sensation gewesen, schließlich gab es die Tiere offiziell nicht mehr. Auch Auswilderungsversuche verschiedener Zoos habe es inzwischen gegeben, doch das sei in einigen Gegenden schwierig. „Man will sie ja nicht auswildern, damit sie sofort wieder gejagt werden.“

Hier im Tierpark gibt es keine Gefahren, stattdessen stehen sie friedlich im Sonnenschein. Eine kleine Familie, in der es übrigens jedes Jahr Neuankömmlinge gibt. „Die kriegen einen richtigen Kullerbauch – bei so schlanken Tieren merkt man es sofort, wenn sie Nachwuchs bekommen“, erzählt Hempel.

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Die drei jüngsten Gazellen kamen schon Anfang Mai zur Welt – selbst für den erfahrenen Tierpfleger ein besonderer Moment. „Man hat bei der Arbeit recht viel Routine, weil man jeden Tag die gleichen Handgriffe macht“, erzählt er. „Aber wenn man morgens herkommt und da plötzlich eine kleine Gazelle liegt, ist es schon ein besonderer Moment.“

Erst im Mai gab es Nachwuchs bei den Mhorr-Gazellen.
Erst im Mai gab es Nachwuchs bei den Mhorr-Gazellen. Foto: Gerd Engelsmann

Täglich ist Hempel bei den Tieren, dann wird geputzt, Futter bereitgestellt. „Sie sind Wiederkäuer, Gazellen fressen hauptsächlich Gras, aber auch etwas Laub dazu.“ Entsprechend steht im Tierpark unter anderem Heu auf dem Speiseplan, von Mai bis Oktober sogar frisches Gras. „Außerdem knabbern sie die Zweige und die Büsche ab, wenn sie herankommen.“

Und wie sind sie, die Tiere, wenn man mit ihnen auf Tuchfühlung gehen kann? „Sie verhalten sich eher distanziert, mögen überhaupt nicht angefasst werden – aber für mich ist das o.k., schließlich sind es Wildtiere.“ Wenn Gefahr droht, alarmieren sich die Tiere gegenseitig mit lautem Schnaufen. Das ist im Tierpark aber kaum nötig, weshalb es hier auch kaum hohe Sprünge und schnelle Sprints zu sehen gibt. „Sie springen auch nicht über den Graben, obwohl sie es könnten. Denn hier drohen keine Gefahren.“

Im Tierpark lohnt es sich, auch mal nach links und rechts zu schauen

Bei mir hinterlassen die Gazellen echte Faszination. Ich nehme mir vor, bei meinen nächsten Besuchen hier nicht nur Giraffen und Elefanten zu besuchen, sondern auch nach links und rechts zu schauen. In jedem Fall werde ich nachsehen, wie es Johnson, Sputnik und Astra geht.

Und ob sie überhaupt noch da sind. Denn: Ein Jahr werden die Gazellen auf jeden Fall bleiben – doch dann kann es sein, dass sie im Rahmen des Zuchtprogramms an andere Zoos weitergegeben werden. Auf den ersten Blick scheint das schade für Friedrichsfelde, aber es ist gut für die Erhaltung ihrer Art.

Florian Thalmann schreibt jeden Mittwoch im KURIER über Tiere.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com