Bei den Herzschrittmachern ist der Name Programm: Dieser Berliner Ü66-Chor macht richtig Freude
KURIER-Autorin Sabine Stickforth hat dem Chor einen Besuch abgestattet.

Liebe Leserinnen und Leser! Singen macht glücklich! Das konnte ich gerade wieder erleben als ich bei einer Chorprobe der „Die Herzschrittmacher“ dabei sein durfte. Der Laienchor der Kudamm-Bühnen hat sich vor zwei Jahren nach einem Aufruf des Theaters gegründet.
„Die Herzschrittmacher“: Dieser Oldie-Chor singt in Berlin
Eintrittsalter war 66+! Fast 200 Sing-Begeisterte haben sich gemeldet aus ganz Berlin. Nach einem fünftägigen Casting und durch die Finanzierung von der Stiftung am Grunewald des professionellen Chorleiters Wolfgang Thierfeldt (UdK) hat dann ein 50-köpfiger Chor zusammengefunden. Gesungen werden in allen Stimmlagen Rock- und Poplieder nach dem amerikanischen Vorbild des Oldie Chors „young@heart“.

Wenige Wochen nach der Gründung des Senioren-Chors im Herbst 2019 kam Corona in unsere Welt und hat das gemeinsame Proben und Singen vereitelt. Aber der Zusammenhalt, das Glücksgefühl des gemeinschaftlichen Singens und das Interesse daran hat einen Großteil dann per Zoomsitzung weitermachen lassen. Später auch draußen im Hain des Ortsvereins in Spandau. Selbst aus Zeuthen und Köpenick reisten die leidenschaftlichen Gesangsmenschen zur Probe an. Inzwischen wird Donnerstag mittags im großzügigen Foyer des Schillertheaters geprobt. Ein Privileg, das denken alle. Ca 35 Männer und Frauen gehören jetzt noch zum festen Stamm mit dem Chorleiter am Klavier.
„Die Herzschrittmacher“ wollen bald ein abendfüllendes Programm zusammen haben
Ab 50 Jahren soll es sehr schwer sein, in einen Chor aufgenommen zu werden. Um so wertvoller war für Jürgen Magalski (69, Tenor), Angelika Rohrwasser (70, Alt) und Doris Schliesser (61, Sopran) die Chance, ganz neu zu starten und ein Repertoire an Liedern mit aufbauen zu können mit einem versierten Chorleiter. Jetzt sind es schon fünf oder sechs Songs, die die Gruppe sicher in der Stimme hat. Geplant ist natürlich ein Abend füllendes Programm auf der Bühne des Schillertheaters.

Man sitzt nun im Halbkreis auf den Stühlen vor dem Klavier. Zum Singen wird aufgestanden, denn dann kommt die Atmung tiefer in den Bauch und die Stimme kriegt Kraft.
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Bei „Love me do“ von den Beatles möchte ich ja gleich am liebsten schon mal ein bisschen mitsummen. Fast alle haben die Notenblätter in ihren Händen. Beim Proben ist das so. „Skyfall“ von Adele ist echt anspruchsvoll und die Stimmen wechseln zwischen den Männern (Bass und Tenor) und den Frauenstimmen (Sopran und Alt) hin und her. Es klingt großartig und ich bekomme eine Gänsehaut. Gemeinsam Singen, a capella, jede Stimme ein Instrument rührt mich jedenfalls immer ganz tief im Innern an.
Aber das absolute Highlight dieser Chorprobe ist für mich „4 Wände“ von Rio Reiser. Und das klingt so überwältigend echt und gut, weil hier Menschen stehen mit ganz verschiedenen Biographien. Sie haben das Wissen um Hintergründe des Lebens und eine eigene erworbene Lebensphilosophie. Sie haben Lebenserfahrung.
4 Wände - Rio Reiser
4 Wände
Meine 4 Wände
Ich brauch meine 4 Wände für mich
Die mich schützen vor Regen und Wind
Wo ich nur sein muss
Wie ich wirklich bin
4 Wände
Meine 4 Wände
Ich brauch meine 4 Wände für mich
Eine Wand für mein Klavier
Eine Wand für ein Bild von dir
Eine Wand für eine Tür
Sonst kommst du ja nicht zu mir
4 Wände
Meine 4 Wände
Ich brauch meine 4 Wände für mich
Eine Wand für ein Bett nicht zu klein
Eine Wand für den Tisch mit dem Wein
Eine Wand für den Sonnenschein
Denn bei mir soll′s nicht dunkel sein
4 Wände
Meine 4 Wände
Ich brauch meine 4 Wände für michDie mich schützen vor Regen und Wind
Wo ich nur sein muss
Wie ich wirklich bin
Mit 70 Jahren kennt man Melancholie, Trauer oder auch Freude und Glück. Jeder Sänger stellt sich hier bei diesem Lied wohl etwas anderes vor und drückt es mit eigener Körpersprache aus. Das ist gelebtes Gefühl, das die Seele öffnet beim Singen. Und ich bin ganz sicher, dass dies auch auf das Publikum überspringen wird. Mir sind Tränen in die Augen gestiegen.
Diese Chorprobe der „Die Herzschrittmacher“ haben alle mit einem Lächeln gutgelaunt verlassen. Das Glücksgefühl war riesig. Und Herrn Magalski hat es seinen Rückenschmerz weggezaubert.
Eine gute Woche wünsche ich Ihnen! Und vielleicht singen Sie doch zu Hause mal wieder mit ihren Liebsten
Sabine Stickforth
Sabine Stickforth schreibt jeden Dienstag im KURIER über das Leben über 50 in Berlin.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com