Ein Mercedes-Benz-Bus mit bruchsicheres Spezialglasscheibe. Für Geld und Fahrscheine gibt es Luken – doch auch in den umgerüsteten Fahrzeugen werden keine Fahrscheine verkauft.
Ein Mercedes-Benz-Bus mit bruchsicheres Spezialglasscheibe. Für Geld und Fahrscheine gibt es Luken – doch auch in den umgerüsteten Fahrzeugen werden keine Fahrscheine verkauft. Foto: BVG/Kevin Doan

Zwei Strecken im Osten der Stadt machten den Anfang. Auf den Linien 296 und 396 lässt sich betrachten, wie Berliner Linienbusfahrer künftig vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus bewahrt werden sollen. Alle Busse, die dort eingesetzt werden, haben bruchsichere Spezialglasscheiben bekommen, die den Fahrerbereich schützen. Sie ersetzen die Kunststofffolien, die bislang den vorderen Busbereich abgesperrt hatten. Für die Fahrgäste bedeutet die Neuerung, dass sie in den umgerüsteten Bussen wieder vorn einsteigen dürfen. Nach und nach wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihre gesamte Busflotte mit den Kunststoffscheiben ausstatten, aber das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Als sich das Coronavirus im Frühjahr immer weiter ausbreitete, zog die BVG sichtbare Konsequenzen. Um das Fahrpersonal vor Ansteckung zu schützen, wurden in allen Bussen erst rot-weiße Flatterbänder, dann Folien gespannt. „Das fanden einige Kollegen nicht gut“, sagte ein Busfahrer. Wer gern Kontakt zu den Fahrgästen hatte, fühlte sich plötzlich wie eingesperrt. Andere Fahrer atmeten dagegen auf. Auch wenn der Nahverkehr nicht als Hotspot der Ansteckung gilt, haben viele BVG-Beschäftigte Angst davor, ihre Gesundheit zu gefährden.

Mit den Spezialglasscheiben lassen sich die Interessen miteinander vereinbaren. Zum einen gelten sie als wirksame Barriere gegen Aerosole, mit deren Hilfe sich das Virus ausbreiten kann. Zum anderen wird es nun möglich, den Vordereinstieg im Bus, der in Berlin seit Mitte März geschlossen ist, wieder zu öffnen. Das entspannt die Situation. Weil die Fahrgastzahlen wieder steigen, kommt es in kleinen BVG-Bussen, die nur eine weitere Tür haben, beim Ein- und Aussteigen zunehmend zu Gedränge.

Vorne einsteigen wieder möglich: ein Bus der Linie 296.
Vorne einsteigen wieder möglich: ein Bus der Linie 296. Foto: Berliner KURIER/Volkmar Otto

„Deshalb fangen wir jetzt erst einmal mit kurzen Autos an“ – genauer gesagt mit den zwölf Meter langen Citaros von Mercedes-Benz. „Autos“ ist der interne Begriff für Busse, „Spuckschutz“ werden die Scheiben von manchen Fahrern genannt. Bislang konnte die BVG allerdings nur hundert Scheiben beschaffen, die Nachfrage ist groß. Zunächst wurden zwölf Busse auf dem Betriebshof Lichtenberg ausgestattet. Exakt so viele Fahrzeuge werden für die Lokallinien 296 und 396 benötigt, die sich in Lichtenberg und Karlshorst durch die Kieze schlängeln. Deshalb sind die beiden Strecken ausgewählt worden.

„Bei Umfragen äußerten sich von hundert Kollegen mehr als 80 positiv“, so der Busfahrer. Spiegelungen wurden kaum beklagt. Darum macht das Landesunternehmen nun Tempo. „Unser Ziel ist es, die Scheiben in allen Bussen zu montieren“, so BVG-Sprecherin Petra Nelken. Aber das ist ein ehrgeiziger Plan. Nicht nur, dass auch andere Busbetreiber schützendes Glas installieren wollen, was Lieferungen verzögert: Jeder Hersteller hat unterschiedliche Versionen. Die Solaris-Dieselbusse werden wahrscheinlich nicht umgerüstet, weil sie bereits zur Ausmusterung anstehen.

Auch in den Bussen mit „Spuckschutz“ werden weiterhin keine Fahrscheine verkauft. Der Umgang mit Münzen und Geldscheinen, an denen das Virus haften kann, wird als problematisch angesehen. Zudem wird bei der BVG darüber nachgedacht, wie der Fahrscheinverkauf künftig generell gestaltet werden soll – wobei auch kontakt- und bargeldlose Zahlungsarten diskutiert werden.

Nachdem die Fahrgastzahlen zu Beginn der Corona-Pandemie enorm gesunken waren, nehmen sie nun wieder deutlich zu, sagte BVG-Sprecherin Nelken. „Inzwischen haben sie 70 Prozent des früheren Niveaus erreicht.“ Seit dem 27. April gilt die Pflicht, im Nahverkehr Mund und Nase zu bedecken. Am 7. Juli hat die BVG festgelegt, dass ihre Sicherheitskräfte Maskenmuffel ab sofort mit einer Vertragsstrafe in Höhe von 50 Euro belegen dürfen. „Wir können feststellen, dass die Botschaft angekommen ist“, bilanzierte Nelken. Derzeit würden sich im Schnitt rund 90 Prozent an die Regel halten. „Im Berufsverkehr erreicht die Quote zum Teil sogar 99 Prozent.“ Abends und nachts seien dagegen weniger Maskenträger unterwegs.

Durchschnittlich tausend Mal pro Tag sprechen BVG-Sicherheitskräfte Fahrgäste an, die keine Mund-Nase-Bedeckung tragen, berichtete Petra Nelken. In den allermeisten Fällen zeige sich die Kundschaft einsichtig. Aber nicht immer: „15 bis 30 Mal pro Tag werden Vertragsstrafen verhängt.“ In einigen wenigen Fällen seien Fahrgäste ausgerastet und ausfällig geworden. Doch anders als bei Fahrscheinkontrollen stünden die anderen Reisenden in diesen Fällen meist auf der Seite der BVG-Leute.

In vielen Bussen, die er benutzt habe, drangen die Aufforderungen zum Maskentragen in enormer Lautstärke aus der Lautsprecheranlage, erzählte Matthias Winkler aus Spandau. „Oft wurden Haltestellenansagen übersprochen, die nur halb so laut sind“, so der Pendler. Wer richtig Ärger haben wolle, warte auf der Spandauer Buslinie 136 auf die Busse der Oberhavel-Verkehrsgesellschaft, die sich den Betrieb mit der BVG teilt. „Deren Fahrer sind seit Anfang Mai angewiesen, alle Fahrgäste nur vorn einsteigen zu lassen.“ Fahrgäste, die an die Regeln der BVG gewöhnt sind und hinten einstiegen, würden von den Brandenburger Busfahrern als Schwarzfahrer beschimpft.

Ein positiver Effekt der Corona-Pandemie ist klammheimlich wieder verschwunden. Weil die BVG-Fahrschule ihre Aktivitäten herunterfuhr, wurden Fahrschüler im Frühjahr dazu eingesetzt, Busse unterwegs zu reinigen – was bei Fahrgästen gut ankam. Doch seitdem die Fahrer-Azubis nun wieder ausgebildet werden, würden Haltestangen und andere Teile nicht mehr an den Endhaltestellen geputzt, hieß es.