Berlin vor dem Mucki-Kollaps
Alle Hoffnungen ruhen darauf, dass der Senat die Corona-Maßnahmen weiter lockert. Geschieht dies nicht, stehen viele Clubs vor dem Aus.

Die Corona-Zahlen sind konstant niedrig, selbst die sogenannte R-Zahl, die anzeigt, wie viele Menschen ein einzelner Infizierter durchschnittlich ansteckt, ist nach einem mehrtägigen Hoch wieder in den grünen Bereich gesunken. Das Leben kehrt zurück. Geschäfte, Restaurants und sogar Hotels dürfen wieder öffnen, Schulen und Kitas sind zumindest teilweise wieder in Betrieb.
Doch in manchen Bereichen tut sich Berlin mit den Schritten aus dem Lockdown ausgesprochen schwer. Zum Beispiel beim Sport gibt es noch strikte Beschränkungen. Jetzt hoffte die gesamte Branche, dass der rot-rot-grüne Senat auf seiner Sitzung am Donnerstag Erleichterungen beschließt. Die Passage in der derzeit gültigen Eindämmungsverordnung Berlins klingt eindeutig: „Der Betrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimmbädern, Frei- und Strandbädern, Fitness-Studios sowie Saunen, Dampfbädern und ähnlichen Einrichtungen ist untersagt.“ Doch es gibt Ausnahmen und Bedingungen: Seit Montag dürfen die Bäder wieder öffnen, schon zuvor war Sport im Freien prinzipiell wieder möglich – unter Auflagen.
So gilt das Abstandsgebot, was bedeutet, dass beispielsweise Training nur mit maximal acht Personen erlaubt ist. Kontaktsport und Wettbewerbe bleiben dagegen verboten.
Vorbild Brandenburg?
Noch nicht dabei sind bisher jedoch alle Indoor-Sportarten. Öffentliche Hallen bleiben dicht, ebenso private Fitness-Studios. Das ist im Nachbarland Brandenburg ganz anders, wo seit Dienstag schon deutlich mehr möglich ist. Nun könnte Berlin diesem Beispiel folgen. Auch ein möglicher Starttermin soll schon feststehen: Sonnabend, der 6. Juni. Beim Landessportbund, mit seinen 670.000 Mitgliedern die größte gemeinnützige Organisation Berlins, setzt man große Hoffnungen in die Senatssitzung am Donnerstag. „Wir hoffen, dass es eine Lösung auch für Sporthallen gibt, dass dort zumindest in Kleingruppen trainiert werden darf“, sagt Sprecher Oliver Weiß. Die rund 2500 Berliner Sportvereine warten auf ein klares Zeichen.
Daran ändert auch der geplante Rettungsschirm Sport nichts, für den der Senat unverschuldet in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Vereinen, aber auch Proficlubs und Veranstaltern von Traditionssportveranstaltungen insgesamt acht Millionen Euro bereitstellt. Diese Subvention sei notwendig, weil andere Hilfsprogramme des Landes und des Bundes, die auf Wirtschaftsunternehmen oder Soloselbstständige ausgerichtet sind, für den Sport nicht greifen, sagte Innen- und Sportsenator Andreas Geisel (SPD). Weil man aber die Sportmetropole Berlin weiterhin als wichtigen Image- und Wirtschaftsfaktor vermarkten wolle, müsse man helfen, um durch Kündigungen entgangene Einnahmen, wegfallende Kursgebühren oder fehlende Erlöse aus Veranstaltungen auszugleichen.
Doch für klare Zeichen braucht es klare Absprachen. Wie üblich haben in Berlin zur Kabinettssitzung also alle Senatsverwaltungen Vorschläge eingereicht. Ein Ziel wird es unter anderem sein, die Wünsche und Bedürfnisse der Sportvereine – zuständig ist die Innenverwaltung – mit jenen der privaten Studios – zuständig ist die Wirtschaftsverwaltung – überein zu bringen. „Unser Wunsch ist es, einheitliche Regeln für Sport in Turnhallen, Fitness-Studios aber zum Beispiel auch in Tanzschulen und in ähnlichen Einrichtungen zu etablieren“, bestätigt Matthias Borowski, Sprecher von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
Zwei Fitness-Studios haben bereits aufgegeben
Auch Olaf Zorn, Inhaber des CrossFit-Studios Black Sheep in Kreuzberg, hofft auf weitere Lockerungen. Gleich zu Beginn der Corona-Epidemie Anfang März musste das Studio – im CrossFit-Jargon die „Box“ – schließen. In den ersten Wochen haben die Trainer ihre Programme gefilmt, damit die zahlenden Mitglieder zuhause an sich arbeiten konnten. Einige benutzten dafür Gerätschaften wie Kettlebells, Medizinbälle, Kurzhanteln oder Springseile, die ihnen das Studio zur Verfügung gestellt hat. Seit zwei Wochen darf Zorn seine vom US-Militär stammende Trainingskombination aus Kraft, Mobilität, Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit zumindest reduziert wieder anbieten. Maximal sieben Teilnehmer dürfen sich auf einem Dach und in einem Hinterhof in der Straße Am Tempelhofer Berg tummeln. Pech nur, wenn mal wieder ein missgünstiger Nachbar die Polizei oder das Ordnungsamt anrief. „Aber immer wenn dann jemand vom Amt vorbei gekommen ist, hat er gesehen, dass wir uns an alle Regeln halten“, sagt Zorn. Schlimmer ist jedoch ohnehin der wirtschaftliche Schaden durch Corona. „Leider hat das abgespeckte Programm an unserer gesamtwirtschaftlichen Situation wenig geändert“, sagt Zorn. Diese sei weiterhin bescheiden. Dabei hat Black Sheep nach Zorns Aussagen mit Dach und Hof ganz besondere Möglichkeiten und offenbar auch ein ganz besonderes Kundenklientel. „Wir hatten bisher ganz wenige Abmeldungen, nur einige Freiberufler, bei denen es besonders knapp ist, haben abgesagt“, sagt er.
Das gilt offenbar längst nicht für alle Anbieter in der Branche. Zu Beginn von Corona gab es in Berlin 16 CrossFit-Studios, nach zweieinhalb Monaten virusbedingter Einschränkungen haben bereits zwei aufgegeben. „Und es werden weitere folgen“, sagt Zorn. Gerade kleinere Clubs könnten die langen Einnahmeausfälle kaum kompensieren. Eine mögliche Öffnung ab kommender Woche, und sei es unter strengen Hygienebedingungen, sieht Zorn dennoch skeptisch. Das funktioniere nur, wenn alle Anbieter in der großen Sport- und Freizeitbranche der Stadt gleichbehandelt würden, sagt er. „Wenn nicht, würde ich sagen: Lasst den gesamten Juni indoor zu. Sondergenehmigungen bringen nur Frust. Das ist dann wie beim Würfeln“, sagt er.