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Symbolbild Foto: imago images / Jochen Eckel

Sie wollten im September nach Venedig fahren, eine Woche lang. In Bungalows übernachten, Sehenswürdigkeiten der norditalienischen Stadt entdecken. Das waren die Pläne einer neunten Klasse einer Berliner Brennpunktschule – im Januar, vor Corona. Flüge und Unterkunft für 20 Kinder und zwei Begleiter sind schon gebucht, 8000 Euro verplant. 340 Euro pro Familien macht das. Das ist viel an einer Brennpunktschule – doch es sollte die Feier zum Abschluss sein. Ein unvergessliches Erlebnis.

Im Februar breitete das Corona-Virus sich in Italien aus, vor allem in der Lombardei und Venetien. Seitdem sind in dem Land 34.000 Menschen gestorben. Die Reisebeschränkungen für Bürger aus EU-Staaten wurden zwar am 3. Juni aufgehoben. Doch in Italien gilt noch der Notstand – und strenge Regeln, gerade im Tourismus. „Die Eltern sind zu verunsichert“, sagt eine Lehrerin der neunten Klasse. Sie will anonym bleiben, weil sie Konsequenzen für ihre Schulleitung befürchtet. In dieser Woche hat sie nachgefragt: Die Hälfte der Eltern wollen ihre Kinder nicht nach Italien schicken.

Zurzeit gilt noch: 250 bis 2500 Euro Bußgeld für „Teilnahme an Schülerfahrten“

Der Senat aber findet: Reisen nach Italien sind möglich. Nun befürchtet die Lehrerin, sie und ihre Klasse bleiben auf den Stornokosten sitzen, wenn sie die Reise eigenmächtig absagen.

Zurzeit sind alle Klassenfahrten per Corona-Verordnung des Senats noch streng verboten. Im Bußgeldkatalog, den der Senat in dieser Woche aktualisiert hat, ist festgelegt, dass die „Durchführung von Schülerfahrten“ mit 1000 bis 10.000 Euro geahndet werden kann. Auch die Teilnahme kann mit 250 bis 2500 Euro geahndet werden – zahlen müssen „sorgeberechtigte Personen“ oder, wenn sie volljährig sind, die Schüler selbst. Solange diese Verbote gelten, hat der Senat allen Schulen zugesichert, Stornokosten zu übernehmen.

Mit dem neuen Schuljahr ab August aber werden die Verbote aufgehoben. „Schülerfahrten innerhalb Deutschlands und auch ins Ausland“ dürfen dann wieder „gebucht und durchgeführt werden“, hat der Senat am Dienstag entschieden. Einzige Einschränkung: Das Reiseziel darf nicht „in vom Robert Koch-Institut Berlin (RKI) bzw. vom Auswärtigen Amt benannten Risikogebieten“ liegen.

Ein Problem von vielen dabei: Das Robert Koch-Institut hat die Ausweisung der Risikogebiete eingestellt – schon seit April. Auf seiner Homepage erklärt das RKI die Entscheidung unter anderem damit, dass ein Übertragungsrisiko inzwischen in einer „unübersehbaren Anzahl von Regionen weltweit“ bestehe. Das Auswärtige Amt hingegen hat seine weltweite Reisewarnung Anfang Juni aufgehoben. Seither sind Reisen unter anderem in alle Staaten der Europäischen Union wieder erlaubt. Für Italien gelten auch keine Quarantäne-Maßnahmen nach der Rückkehr mehr.

Lehrerin: „Ich fühle mich total allein gelassen“

Zumindest aus der Politik stehen also alle Signale auf Grün für eine Klassenfahrt im September – auch nach Norditalien. Doch gut die Hälfte der Eltern in der neunten Klasse will eben nicht. Die Bedenken seien groß, die Lage zurzeit zu unübersichtlich, sagt die Lehrerin. „Wie soll das auch Spaß machen – Gruppenurlaub unter Corona-Regeln?“

Das Problem sei über die Schulleitung an die Senatsbildungsverwaltung kommuniziert. Zwei andere Kollegen hätten eine für September geplante Italien-Reise bereits im März storniert, alle Belege seien eingereicht worden – bisher aber sei in beiden Fällen jede Reaktion ausgeblieben. „Ich fühle mich total allein gelassen“, sagt sie. Sie werde als Ansprechpartnerin nun von Fluggesellschaften sowie Übernachtungsanbietern angeschrieben. Stornieren aber könne sie nicht, solange die Kostenübernahme nicht geklärt sei. Doch je länger das dauert, desto höher steigen die Stornokosten.

Tom Erdmann, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW, sagte der Berliner Zeitung: „Die Verunsicherung und der Frust bei den Beschäftigten ist nur allzu verständlich.“ Eine Klassenreise sei sinnlos, wenn ein Großteil der Schüler nicht mitfahre. Die Gewerkschaft gehe fest davon aus, „dass Stornogebühren von der Senatsverwaltung auch dann übernommen werden, wenn die Klassenreise aus anderen Gründen als einer Reisewarnung ausfalle“.

Die Bildungsverwaltung teilte dem Berliner KURIER auf Nachfrage mit, dass das Land bis zum August die Stornokosten übernehme. Abgesagt worden seien bisher insbesondere Klassenfahrten nach Großbritannien. Gekostet habe das bisher „einige Hunderttausend Euro, deutlich mehr als eingeplant“.  Die Senatsverwaltung prüfe derzeit, ob darüberhinaus „Klassenfahrten, die noch vor der Corona-Krise gebucht worden sind, erstattet werden können“. Dabei spiele auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Rolle.