Berlin macht wieder auf: Einblicke in einen neuen Alltag
Nach Wochen des weitgehenden Lockdowns öffneten am Mittwoch in Berlin die Geschäfte wieder – mit zahlreichen Auflagen allerdings.

Ein Parkplatz direkt vor der Tür? Das hatte man sonst nicht. Auch vieles andere hat sich verändert. Nach Wochen des weitgehenden Lockdowns öffneten am Mittwoch in Berlin die Geschäfte wieder – mit zahlreichen Auflagen allerdings. Im Alexa am Alexanderplatz gerät auf diese Weise das Einkaufen zu einer kleinen Erlebnisreise.
Das Abenteuer beginnt bereits am Eingang. Jeder, der im Alexa in diesen Tagen etwas besorgen möchte, muss durch den Haupteingang. Alle anderen Zugänge sind versperrt. Und auch am Haupteingang geht es nicht einfach direkt hinein. Absperrgitter wurden aufgestellt, so dass der Kunde sich nur im Zickzack zwischen den Gittern auf den Eingang zu bewegen kann. „Abstand halten“, heißt es auf Schildern. Nicht, dass das wirklich notwendig wäre an diesem ersten Tag. Am Vormittag ist die Zahl der Einkaufswilligen überschaubar.

Zahl der Einkaufswilligen vormittags noch überschaubar
Laut Auflage dürfen Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern wieder öffnen. Größere Läden müssen Bereiche absperren. Es sollen 20 Quadratmeter Fläche für jeden Kunden zur Verfügung stehen. Für das Alexa hochgerechnet bedeutet das, dass sich höchstens 2100 Menschen gleichzeitig im Center aufhalten dürfen. Deshalb wird am Eingang gezählt, wer rein und wer raus kommt.
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Es ist nicht viel los an diesem ersten Vormittag. Etwa jeder zweite Laden hat geöffnet. Butter Lindner, der Touristenshop, ein Optiker, das Schokoladengeschäft Hussel sind geschlossen. Vor dem Eingang zum Technikgeschäft Media Markt stehen Kunden Schlange. Zwei Männer warten dort darauf, den Technikmarkt betreten zu dürfen. Sie wollen eine Spielkonsole kaufen. Sie wissen, was sie wollen. Genau so sei es richtig, erläutert ein Marktmitarbeiter am Informationsstand, wenn man ihn fragt.

Mediamarkt reguliert den Zutritt zum Geschäft der Einfachheit halber anhand von Einkaufskörben. 40 Körbe sind vorhanden. Mehr Kunden dürfen nicht rein. Verlässt ein Kunde den Laden wieder, desinfiziert ein Mitarbeiter den Griff und drückt ihn dem nächsten in der Warteschlange in die Hand. Die oberen Etagen sind abgesperrt. Wer also einkaufen möchte, sollte wissen, was er will, damit die Mitarbeiter die Produkte heranschaffen können. „Richtige Beratung können wir unter diesen Umständen natürlich nicht machen“, sagt der Mitarbeiter am Informationsdesk. So ähnlich und dann doch wieder ein bisschen anders sieht es überall aus.
Sicherheitsleute und Einbahnstraßenregelungen
Jedes Geschäft hat sich je nach Größe eigene kreative Lösungen für Zugangsbeschränkungen und Minimierung der Ansteckungsgefahr überlegt. Mitarbeiterinnen im Beauty-Shop desinfizieren ihren Kunden die Hände und geben ihnen eine Papiertüte für den Einkauf. In den Bekleidungsgeschäften gibt es Einbahnstraßenregelungen beim Zugang und abgesperrte Bereiche. Viele haben umgeräumt, um eine größere Auswahl präsentieren zu können. Überall sind Sicherheitsleute präsent.
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Centermanager Oliver Hanna wirkt zufrieden mit dem bisher Erreichten. „Es ist ein Ausprobieren. Noch haben nicht alle Läden geöffnet. Wir müssen selbst erstmal sehen, welche nun öffnen werden und welche nicht“, sagt er. Viele Betreiber müssten sich erst organisieren und überlegen, welche Mitarbeiter einsetzbar sind. Normalerweise hat das Alexa etwa 40.000 Kunden am Tag. Am Mittwoch würden es wohl um die 11.000 werden, schätzt Oliver Hanna gegen Mittag. Das sei doch schon mal was, sagt er. Beim regionalen Handelsverband hält sich die Euphorie in Grenzen. Für Verbandschef Nils Busch-Petersen sind die Lockerungen „ein vernünftiger erster Schritt“, aber weniger, als er erwartet hatte.

Die besondere Struktur des hiesigen Einzelhandels mit seinen etwa 70 Shopping-Malls und großen Warenhäusern sei nicht berücksichtigt worden. Große Sorgen bereiten ihm die Kaufhäuser, insbesondere die von Galeria Karstadt Kaufhof, die sich seit Monatsbeginn unter einem Schutzschirmverfahren befinden. Bis Ende Juni bekommen die Mitarbeiter Insolvenzgeld. In Berlin hängen laut Busch-Petersen rund 5000 Jobs an den Kaufhäusern, mit angeschlossenen Bereichen seien es fast 10.000 Arbeitsplätze. Tatsächlich werden die Umsätze im Einzelhandel noch einige Zeit weit unter denen der Vor-Corona-Zeit liegen.
Einzelhandel auch von wegbleibenden Touristen getroffen
Allein schon durch die fehlenden Touristen. Auf 20 bis 25 Prozent taxiert der Handelsverbandschef den Anteil der Berlin-Besucher am hiesigen Einzelhandelsumsatz. Es geht um einen Verlust von bis zu fünf Milliarden Euro. Im laufenden Jahr ist mit einem deutlichen Verlust an Kaufkraft zu rechnen. Aktuell sind Schätzungen zufolge 200.000 Berliner in Kurzarbeit und bekommen nur 60 bis 67 Prozent ihresEinkommens. Für sehr vielebleibt amEnde sowenigübrig, dass sie Grundsicherung beantragen müssen. Von einem Anstieg derArbeitslosigkeitist auszugehen. 20.000 neue Arbeitslose in Berlin werden für möglich gehalten.
„Die Aussichten sind katastrophal“, sagt Busch-Petersen. Für ihn ist mindestens die Hälfte derBerlinerEinzelhändler in Existenznot. Damit drohe wenigstens 6000 bis 7000 Geschäften in diesem Jahr die Pleite. Zu den ersten Opfern zählen vor allem die insgesamt mehr als 18.000 Mini-Jobber.