Bäume oder Kinder? In einem grünen Hof in Friedrichhain soll eine Drei-Religionen-Kita entstehen. Doch dafür müssen 25 Bäume weg
Die Mieter im Karree sind gegen den Bau, fürchten Hitze im Sommer und den Verlust von Lebensqualität.

In einem Hof zwischen der Wedekindstraße und der Marchlewskistraße sollen Bäume einem Neubau weichen. So weit, so bekannt. Doch dieses Mal kommt die Säge für eine Kita, in der Kinder aus drei religiösen Richtungen unter einem Dach spielen und lernen werden. Ein Vorzeigeprojekt, berlinweit, bundesweit. Darf man trotzdem dagegen sein?
In diesem Fall von Bauen in einer Stadt, die möglichst grün bleiben soll und trotzdem wachsen, ist es nicht ganz so einfach, wie im Fall der Eiche, die in Mitte einer Tiefgarage weichen sollte. Die 200 Jahre alte Eiche hat es zu einiger Berühmtheit gebracht.
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Doch gegen SUVs sein ist viel einfacher, als gegen Plätze für Kinder. Dennoch: auch in Friedrichshain formiert sich Protest. Die Mieter im Kiez wollen zumindest, dass beim Bau so viel Grün wie möglich erhalten wird. Und sie haben gute Argumente.
Mit den Bäumen leidet das Mikroklima
An einem Donnerstagnachmittag haben sich an die 20 Mieter in dem grünen Innenhof versammelt, sie wollen die Bebauung direkt vor ihrer Nase nicht widerspruchslos hinnehmen.
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Hinter ihnen stehen Pappeln, Kastanien und weitere Bäume im Gegenlicht. Eine kleine innerstädtische Wildnis ist innerhalb des Hofs eingezäunt. „Im Sommer ist es deutlich kühler, wenn man von der Straße hier rein kommt“, sagt eine Mieterin. „Das hier ist unser einziger Ort, wo man Durchatmen kann“, eine andere.

Friedrichshain-Kreuzberg ist tatsächlich einer der am dichtesten bebauten Bezirke. Vorn tost die Straße, hinten im Hof zwitschern noch Vögel, klettern Eichhörnchen und schlurfen Igel, segeln nachts lautlos die Fledermäuse durch die Bäume.
Erik Zwikirsch erzählt, wie die meisten Mieter von der Gefahr für ihre Idylle, von der geplanten Bebauung, erfahren haben. Durch Zufall nämlich. Ein Hausmeister habe von Bauarbeiten gesprochen, die anstünden, die Bewohner im Karree fielen aus allen Wolken, informierten sich und gründeten schließlich eine Bürgerinitiative.
Der Plan sieht folgendes vor: Auf dem Grundstück, auf dem sich derzeit ein Spielplatz, Büsche und etwa 25 Bäume befinden, soll ab 2023 das Drei-Religionen-Kita-Haus entstehen. Das 1200 Quadratmeter große Grundstück gehört der Evangelischen St. Markus-Gemeinde, nach Entwürfen des Berliner Architekturbüros Stark&Stilb soll es auf 440 Quadratmetern bebaut werden.
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Von Mauern und Bäumen
Die Mieter erfahren, dass für das vierstöckige Gebäude auch größere Veranstaltungen mit bis zu 200 Personen vorgesehen sind, Vortragsveranstaltungen, Kinovorführungen und kulturelle Angebote im Kiez sollen stattfinden. Auch eine Bibliothek mit Seminarräumen und ein Raum der Stille sollen entstehen. „Wir wollen auch für die Menschen im Kiez Angebote machen, sagt Anna Poeschel, die Sprecherin des Projekts. Doch bisher dringen die beiden Seiten nicht zu einander durch:
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Bei den aufgebrachten Bürgern ist diesem Nachmittag die Rede von einer blickdichten Mauer, die das 1200 Quadratmeter große Gelände umschließen solle. Dabei handelt es sich um einen Zaun, der aus Sicherheitsgründen sein muss, weil auch jüdische Kinder in die Kita gehen werden, erklärt Poeschel.
Die Bauherren werden nicht müde zu betonen, wie wenig verkehrssicher die Bäume seien. Die Mieter hingegen haben selber Baumschutzexperten beauftragt, die bestätigten, dass die Bäume vital sind und nicht umsturzgefährdet. Die Fronten, scheint es, sind schon länger verhärtet.

„Wir können verstehen, dass eine Baustelle direkt vor dem Schlafzimmerfenster und eine große Veränderung Unmut hervorrufen“, sagt Anna Poeschel. Man müsse ehrlicherweise schon sagen, dass sich in dem Hof viel verändern werde.
Auch teile man die Sorge um das Klima in der Stadt. Als Kitaträger sei man in der wachsenden Stadt aber ebenfalls aufgerufen, Kitaplätze zu schaffen. „Es ist nicht leicht, in der Innenstadt ein geeignetes und finanzierbares Grundstück zu finden“, so Poeschel.
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Seit 2014 gebe es die Idee eines Drei-Religionen-Kita-Hauses, etwa genauso lange läuft auch die Suche nach einem Grundstück. Man habe viele weitere Optionen und Standorte geprüft. Die Ausgleichspflanzungen für gefällte Bäume wolle man in der Nähe vornehmen, soweit das möglich ist, so Poeschel.
Grundstück im Hof sollte schon länger bebaut werden
Dass das Grundstück bebaut werden soll, habe die Gemeinde schon vor langer Zeit beschlossen. Pfarrer Matthias Lohenner von der Evangelischen St. Markus-Gemeinde, auf deren Grundstück das Drei-Religionen-Kita-Haus entstehen wird, ist stolz auf den Modellcharakter: „Das Projekt fasziniert mich schon seit langem. Da bringen Menschen das, was für sie elementar wichtig ist, ihren Glauben, in einen gemeinsamen Aushandlungsprozess ein, oder anders: Sie besprechen Nicht-Verhandelbares in Verhandlungen. Dass das geht, macht Mut für das Miteinander der Religionen in dieser Stadt. Und es ist toll, wenn unsere Gemeinde einen Beitrag zu diesem Projekt leisten kann“, schreibt er in einer Projektvorstellung.
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Dass Verhandlungen aber auch mit den Menschen im Umfeld, nötig sind, weil sie ebenfalls elementar Wichtiges in Gefahr sehen, ihre Lebensqualität nämlich, scheint noch nicht ganz oben auf der Tagesordnung zu stehen. Für Anfang November ist immerhin eine Infoveranstaltung angekündigt.
Eine andere, bezahlbare Wohnung finden ist schwer
Derweil sammeln die Mieter weiter Unterschriften, etwa 60 haben bereits unterzeichnet. Sie informieren auf Zetteln und versuchen, mit Öffentlichkeit, die Baugenehmigung, die noch aussteht, zu verhindern.
Dort ist die Fällung von 25 Bäumen beantragt. Anna Poeschel betont, dass es weniger Bäume sind, die am Ende dran glauben müssen, wenn das Drei-Religionen-Haus gebaut wird. Man sei auf der Suche nach der besten Lösung, auch was die Einrichtung der Baustelle betrifft, so die Sprecherin weiter.
Die Mieter haben Sorge, was die Zuwegung für das große neue Haus angeht, wenn es leichter wäre, eine andere Wohnung zu finden, würden einige gern wegziehen. Ob sie an den Erfolg ihres Protests glauben? Man müsse es wenigstens versuchen.