Wie trainiert man, wenn man abgestiegen ist? So richtig groß scheint die Lust bei Hertha BSC nicht zu sein ...
Wie trainiert man, wenn man abgestiegen ist? So richtig groß scheint die Lust bei Hertha BSC nicht zu sein ... Nordphoto/Imago

Am zurückliegenden Wochenende, nach Herthas Absturz in die Zweite Liga, blinkte es auf meinem Smartphone zeitweise im Minutentakt. Meist über Whatsapp erreichten mich Nachrichten von Freunden, Bekannten und auch von ehemaligen Spielern. „Tragisch für Hertha, aber ein selbstgemachter Abstieg!“, lautete der allgemeine Tenor.

Ich glaube, die aktuelle Situation um den Traditionsverein kann man an einem schönen Alleinstellungsmerkmal von Hertha beschreiben. Die Lage ist so wie der Zustand des Schiffes, das dem Verein seinen altmodischen, aber auch schönen Frauennamen gab: marode und vor einem langwierigen Neuaufbau.

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Die 30 Meter lange und sechs Meter breite „Hertha“ liegt bereits seit über einem Jahr auf einer Werft in Malz nahe Oranienburg. 2016 hatten die beiden ehemaligen Präsidiumsmitglieder Christian Wolter und Ingmar Pering das Ausflugsschiff erworben. Sie brachten es in einer aufwendigen Aktion von Wusterhausen/Dosse, wo es viele Jahre auf der Kyritzer Seenplatte Touristen übers idyllische Gewässer schipperte, zuerst nach Berlin.

Auch Herthas Dampfer ist ein Sanierungsfall

Doch der Zustand ist mies. Die „Hertha“ musste entkernt werden. Ende 2023 soll der Rohbau fertiggestellt sein, danach folgt der Innenausbau – um wieder fahrtüchtig zu werden. Ein Schiff zu besitzen, das 1886 gebaut worden ist und dem man seinen Namen verdankt, ist eine Seltenheit, auf die der Verein stolz sein kann, aber im Moment nur eine Marginalie.

Im Dezember 2017 erreicht der Gründungsdampfer von Hertha BSC bei seiner Überführung den Hafen Rummelsburg.
Im Dezember 2017 erreicht der Gründungsdampfer von Hertha BSC bei seiner Überführung den Hafen Rummelsburg. Matthias Koch/Imago

Hertha muss gravierendere Probleme lösen, als die alte „Hertha“ wieder auf die Berliner Gewässer zu bekommen. Der Klub muss zuerst die Lizenz erhalten und einen kompletten Neuaufbau anpacken. Wieder einmal blieb der Verein für mich nur ein großes Versprechen auf eine glänzende Zukunft.

Was war er außerdem schon alles? Natürlich ein „schlafender Riese“, wie Franz Beckenbauer Mitte der 1990er-Jahre befand, auch eine graue Maus im Mittelfeld der Liga und später gar ein angehender „Big City Club“.

Vom Gefühl her ist Hertha, einst in Wedding im Arbeitermilieu beheimatet, allerdings viel mehr Berliner Eckkneipe samt Charlottenburger Bier statt Grill Royal mit Sekt und Kaviar. Ich finde das okay und durchaus charmant. Vielleicht sollte man sich in schweren Zeiten bei einem Bierchen an positive Ereignisse erinnern, die Hertha einmalig machen.

Hertha bestach einst mit Erfindergeist 

Der Erfindergeist war einst groß. Berühmte Hertha-Spieler aus den „goldenen 1920er-Jahren“ erfanden die Abseitsfalle, viel später war es Trainer Helmut „Fiffi“ Kronsbein, der 1968 als erster Coach seine Torhüter nach jedem Spiel rotieren ließ, und Ende der 1990er-Jahre installierte Hertha mit Dr. Gerd Driehorst den ersten Mentalcoach in der Bundesliga überhaupt.

Nun aber, in den zurückliegenden vier Jahren des Größenwahns, hat sich das Arsenal an Alleinstellungsmerkmalen erweitert, über die man nur den Kopf schütteln kann. Im Januar 2020 schaffte man den „Weltrekord im Wintertransferfenster“ (77 Millionen Euro für vier Profis) – der wohl letzte Titel für lange Zeit.

Zudem steht die größte Geldverbrennungsmaschine der Bundesliga im Westend. Die 374 Millionen Euro vom einstigen deutschen „Wirtschaftswunderkind“ Lars Windhorst waren binnen vier Jahren futsch. Mit dem ehemaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann besaß man zudem einen Kurzzeitcoach, der sich per Facebook aus dem Staub machte. Ein einmaliger Vorgang.

Zwei Dinge machen Hertha Hoffnung

Trotz all dieser irrwitzigen Ereignisse zieht Hertha viele Menschen an – vielleicht auch wegen der Unvollkommenheit und der unglaublichen Kapriolen …

Hoffnungsträger: Hertha-Boss Kay Bernstein lebt den Zusammenhalt im Klub vor.
Hoffnungsträger: Hertha-Boss Kay Bernstein lebt den Zusammenhalt im Klub vor. Sören Stache/dpa

Zwei Dinge, die Hoffnung machen, sind auch einmalig: In Kay Bernstein steht ein ehemaliger Ultra, der den Zusammenhalt im Klub vorlebt, als Präsident an der Spitze. Und als Absteiger weist Hertha mit durchschnittlich 53.640 Zuschauern den höchsten Schnitt der Liga-Geschichte auf.

Zum Schluss dieser Kolumne noch ein alter Gassenhauer aus der Hertha-Fankurve, der wohl für die Ewigkeit gemacht ist: „Wir sind so, wie wir sind, drum liebt man uns, drum hasst man uns. Wir sind so, wie wir sind – das Berliner Sorgenkind.“

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