Wie Faust aufs Auge: Zecke verkörpert den „Berliner Weg“ bei Hertha BSC
Neuendorf erobert mit brutalen Wahrheiten über Spieler und Bosse die Herzen der Fans.

Hätten die Organisatoren der Hertha-Mitgliederversammlung am zurückliegenden Sonntag ein Applausometer, also ein Gerät, das die Beifallsstärke misst, zur Hand gehabt, wäre Andreas „Zecke“ Neuendorf auf Platz eins gelandet. Der ehemalige Profi, gebürtiger Berliner und seit Januar 2023 „Direktor Akademie & Lizenzspieler-Abteilung“, hielt eine äußerst emotionale und kritische Rede. Der 48-Jährige nahm kein Blatt vor den Mund, was man im Fußballgeschäft nicht so häufig erlebt.
Ich kenne „Zecke“ schon sehr lange, habe große Teile seines Weges als Spieler hautnah begleitet. Mich freut, dass er als Trainer mit Lizenz und nun in einer wichtigen Führungsposition der außergewöhnliche Typ geblieben ist – so wie einst auf dem Rasen.

Zum ersten Mal länger miteinander gesprochen haben wir im April 1998. „Zecke“ war zu seinem ersten Einsatz als Hertha-Profi in der Bundesliga gekommen – einer 0:2-Niederlage im Olympiastadion gegen Werder Bremen.
Da er allerdings zuvor bereits drei Jahre bei Bayer Leverkusen gespielt hatte, erzählte er mir sofort die geniale Story aus seiner Bayer-Zeit, die längst Kult geworden ist.
Zecke Neuenndorf legte sich einst mit Bernd Schuster an
Als er zum ersten Mal als blutjunger Profi in die Bayer-Kabine kam und er sich zielstrebig einen Platz vor einem Spind aussuchte, sagten die Mitspieler: „Junge, da sitzt du nicht so gut, das ist der Platz von Bernd Schuster!“ Neuendorf antwortete kess und mit Berliner Schnauze: „Dann muss der sich wohl einen neuen Platz aussuchen!“ Schuster, genannt der „Blonde Engel“, deutscher Nationalspieler, hatte vor seiner Zeit in Leverkusen schon beim FC Barcelona, bei Real und Atletico Madrid gespielt und war ein Weltstar…Angst vor Autoritäten oder vor den Referees waren „Zecke“ fremd.
Er hat seine offene, ehrliche und auch freche Art – so wie ich ihn einst kennenlernte - nie verändert. Gott sei Dank! Der Mann, einst Publikumsliebling bei Hertha, war als Kicker stets für Überraschungen gut – mit Sprüchen, wechselnden Frisuren und mit starken Aktionen auf dem Platz. Kampfstark, bodenständig, uneitel, volksnah – so war „Zecke“ als Profi – so ist er noch heute. Das kam einst super bei den Fans in der Ostkurve an, die ihn oft feierten und das macht ihn heute authentisch und glaubwürdig.
Zecke Neuendorf rechnet mit Hertha-Profis ab
Wie kaum ein Zweiter – außer seinem ehemaligen Mitspieler Pal Dardai, unter dem er als Co-Trainer arbeitete – steht „Zecke“ für die totale Identifikation mit der Hertha. Er war immer stolz, Berliner und Herthaner zu sein. Genau das vermisst er bei denjenigen Profis, die nun auf dem letzten Tabellenplatz der Bundesliga und unmittelbar vor dem folgenschweren Sturz in die Zweite Liga stehen.

Neuendorf drastisch: „Es fehlen mir in diesem Kader die Leidenschaft und das Herz für den Verein. Keiner hat den Nachweis erbracht, dass er erstligatauglich ist. Alle sind grundsätzlich verkäuflich, bis auf unsere Talente.“ Fehlende Identifikation, das ist Fakt, zieht Mentalitätsprobleme nach sich, die sich im Abstiegskampf drastisch zeigten.
Fans bleiben Hertha auch wegen Dardai und Zecke treu
Ein solch engagierter Neuendorf passt wie die Faust aufs Auge zum sogenannten „Berliner Weg“, den die Vereinsführung nach der Trennung von Sportchef Fredi Bobic ausgerufen hatte. Das ist ein sehr steiniger Weg, der zu den Intentionen von Präsident Kay Bernstein, Sportdirektor Benny Weber und Neuendorf passt und den auch Pal Dardai als wünschenswert ansieht – der aber natürlich auch der finanziellen Not entspringt und zu dem es wohl keine Alternativen geben wird.
Dass Hertha derzeit 21 Spieler in den DFB-Auswahlmannschaften von der U15 bis zur U21 stellt - Rekord in der Liga – ist ein enormes Reservoir, aus dem man schöpfen kann. Seit der Mitgliederversammlung ist klar, welchen Weg der Verein gehen muss.
Fakt ist, dass Klublegenden wie „Zecke“ Neuendorf und Pal Dardai helfen können, dass die enttäuschte Mitgliedschaft dem Verein weiter die Treue hält. Egal in welcher Liga.
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